12.05.2004
Berufsausbildungssicherungsgesetz/Ausbildungsplatzumlage. Warum wir dafür sind. Von Nicolette Kressl, MdB und Stellv. SPD-Fraktionsvorsitzende
Wir wollen, dass alle jungen Menschen, die ausbildungswillig und ausbildungsfähig sind, einen Ausbildungsplatz erhalten. Deshalb haben wir am 7. Mai 2004 im Bundestag das Berufsausbildungssicherungsgesetz verabschiedet. Freiwillige Lösungen haben für uns aber Vorrang. Aus diesem Grunde haben wir der Wirtschaft einen Pakt für Ausbildung angeboten und dies im Gesetz verankert. Wenn ein verbindlicher Ausbildungspakt mit der Wirtschaft zustande kommt, braucht das Gesetz nicht angewendet zu werden. Wir gehen davon aus, dass sich die Frage durch eine konzertierte Aktion aller ohne die gesetzlichen Instrumente lösen lässt.
Für den Fall, dass dieser Pakt nicht zustande kommt und die Situation am Ausbildungsmarkt sich nicht deutlich verbessert, ist es aber richtig, eine gesetzliche Regelung zu haben.
Erlauben Sie mir zuerst einige grundsätzliche Anmerkungen:
Das duale System mit den Lernorten Berufsschule und Betrieb ist unbestritten die beste Vorbereitung für das Berufsleben. Es hat sich in der Vergangenheit bewährt, weil Staat und Wirtschaft ihre Verantwortung für die schulische bzw. betriebliche Ausbildung wahrgenommen haben. Die besondere Verantwortung der Arbeitgeber für die betriebliche Ausbildung hat auch das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht.
Festzustellen ist aber: Die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze im dualen System ist kontinuierlich zurückgegangen, mittlerweile bilden von den fast 2,1 Mio. Betrieben nur noch rund 23 Prozent aus.
Seit dem Jahr 2000 hat sich die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze in Ausbildungsberufen bundesweit um über 60.000 reduziert. Dies entspricht einer Verringerung um rund 12 Prozent in nur vier Jahren. Und die Zahl der unversorgten Schulabgänger steigt von Jahr zu Jahr. Am 30.9.2003 waren es rund 35.000. Nach den Anfang Mai 2004 von der Bundesagentur für Arbeit veröffentlichten Zahlen wird sich der negative Trend der letzten vier Jahre auch zu dem im Herbst 2004 beginnenden neuen Ausbildungsjahr fortsetzen.
Im vergangenen Jahr wurde jeder neunte der von den Unternehmen neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge voll aus öffentlichen Mitteln bezahlt.
Aufgrund der demographischen Entwicklung werden im Vergleich des Jahres 2001 zum Jahr 2015 in Deutschland mehr als eine Million Fachkräfte fehlen.
Dieser negativen Entwicklung konnte nicht weiter tatenlos zugesehen werden. Mit dem nun beschlossenen Gesetz haben wir ein Instrument zur Förderung zusätzlicher Ausbildungsplätze und zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses geschaffen, das aber nicht automatisch angewendet werden muss.
Besser als die Anwendung von gesetzlichen Instrumenten ist immer die freiwillige Lösung. Der Vorrang von solchen freiwilligen Lösungen ist im Gesetz ausdrücklich vorgesehen:
· wenn ein verbindlicher Ausbildungspakt mit der Wirtschaft zustande kommt, muss das Gesetz nicht angewendet werden,
· wenn bis zum 30. September jeden Jahres das Ziel eines ausreichenden Angebots an Ausbildungsplätzen erreicht ist, werden die gesetzlichen Instrumente nicht ausgelöst,
· tarifliche Vereinbarungen zur Verbesserung der Ausbildungsplatzsituation haben im Gesetz Vorrang.
Es liegt damit in der Hand der Wirtschaft, dafür zu sorgen, dass das Gesetz zur Ausbildungsplatzumlage nicht zur Anwendung kommt.
Ich bitte um Verständnis, wenn ich an dieser Stelle nicht auf alle Einzelheiten der gesetzlichen Regelungen eingehen kann. Nur so viel:
Wir handeln im Interesse der jungen Menschen, deren Lebenschancen von einer guten Ausbildung abhängen, und auch im Interesse der deutschen Wirtschaft, die auf einen qualifizierten Fachkräftenachwuchs angewiesen ist, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.
Wir verankern mit den gesetzlichen Regelungen ein solidarisches Finanzierungssystem innerhalb der Gruppe der Arbeitgeber. Die Leistung überdurchschnittlich ausbildender Arbeitgeber wird von denjenigen honoriert, die gar nicht oder zu wenig ausbilden. Da die betriebliche Ausbildung in der Gesamtverantwortung der Arbeitgeber steht und weil alle Unternehmen von ausgebildeten Fachkräften profitieren, ist es auch gerecht, wenn sich grundsätzlich alle Unternehmen, also auch Arbeitgeber aus Branchen, die traditionell wenig ausbilden oder wenig ausbilden können, an der solidarischen Ausbildungsfinanzierung beteiligen.
Zum Teil wird der Einwand erhoben, dass es keine geeigneten Bewerber gebe. Wir wissen, dass es auch Jugendliche gibt, die nicht sofort nach der Schule in die Ausbildung können. Dieser Gruppe ermöglichen wir durch gezielte Maßnahmen der Berufsvorbereitung oder ausbildungsbegleitende Förderung eine Qualifizierung. Tatsache ist aber auch, dass die Auswahl unter den Bewerbern selten so hoch war wie zur Zeit. 1992 konnten 100 Anbieter von Ausbildungsplätzen unter 108 Schulabgängern auswählen. Im Jahr 2002 bereits unter 158.
Das Berufsausbildungssicherungsgesetz ist ein Anreiz zur Schaffung von mehr Ausbildungsplätzen und muss im Zusammenhang mit anderen Reformen der beruflichen Aus- und Weiterbildung gesehen werden. Die Bundesregierung wird diese Reformen fortsetzen und insbesondere noch vor der Sommerpause einen Entwurf zur Reform des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) vorlegen. Dabei geht es vor allem um die Modernisierung und Entbürokratisierung der Ausbildung sowie um die internationale Öffnung der Berufsbildung. Um die Anerkennung neuer Ausbildungsberufe – seit 1999 sind 101 Berufe modernisiert und 29 völlig neu geschaffen worden – weiter zu beschleunigen, wird mit der BBiG-Novelle ein neues Verfahren vorgeschlagen.
Unsere Ziele sind also sowohl ein ausreichendes Angebot an Ausbildungsplätzen wie auch die Modernisierung der Strukturen im dualen System. Mit beiden Maßnahmepaketen werden wir dafür sorgen, dass unsere berufliche Bildung zukunftsfähig bleibt.
Kommunen
Die Kommunen sind ein Teil der gesellschaftlichen Gruppe der Arbeitgeber, von der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes erwartet werden kann, dass diese die Aufgabe der praxisbezogenen Berufsausbildung der Jugendlichen „nach Maßgabe ihrer objektiven Möglichkeiten und damit so erfüllt, dass grundsätzlich alle ausbildungswilligen Jugendlichen die Chance erhalten, einen Ausbildungsplatz zu bekommen.“
Die besondere Ausbildungssituation im öffentlichen Dienst führte bislang vermehrt zur Ausbildung von Beamtinnen und Beamten. Es gilt allerdings, gleiche Lebensverhältnisse zu schaffen – auch im öffentlichen Dienst – und in diesem Zusammenhang für ein ausgewogenes Verhältnis der Ausbildungen im Beamten- und Angestellten bereich zu sorgen. Ausnahmen von der Umlagepflicht, wie z.B. finanzielle Notsituationen, gelten selbstverständlich für alle Arbeitgeber gleichermaßen. Städte und Gemeinden, die kommunalaufsichtlichen Notbewirtschaftungsmaßnahmen unterworfen sind, können dementsprechend auf Antrag befreit werden.
Darüber hinaus wurden mit Ausnahmeregelungen u.a. im Bereich der Pflegeeinrichtungen, Heime und Krankenhäuser, der Kinder-, Jugend- und Drogenhilfe sowie der Schulen (allgemeinbildende und berufsbildende Schulen sowie Jugend-, Musik-, Kunst- und Sonderschulen) Erleichterungen für die Kommunen geschaffen, da diese häufig Träger der genannten Einrichtungen sind. Bestimmte Ausbildungsleistungen, die nicht ausdrücklich im Rahmen eines gesetzlich anerkannten Berufsausbildungsverhältnisses erfolgen, z.B. Erzieherinnen, erkennen wir ebenfalls an – auch dies berücksichtigt die Belange der Kommunen.
Zeitarbeitsagenturen
In diesem Zusammenhang haben wir uns im Rahmen der Beratungen zu dem Berufsausbildungssicherungsgesetz sehr intensiv mit der Situation der Zeitarbeitsbranche auseinandergesetzt.
Allerdings war es aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich, Ausnahmetatbestände für einzelne Branchen im Gesetz zu verankern. Dies wäre nicht mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Artikel 3 GG vereinbar gewesen. Ich gebe im Übrigen zu bedenken, dass gerade Zeitarbeitsfirmen, die vielfach gut ausgebildete und qualifizierte Fachkräfte vermitteln, letztlich von der Ausbildungsleistung anderer Arbeitgeber profitieren. Insofern halte ich es für gut begründet, dass sie sich an den Kosten der Ausbildung des Fachkräftenachwuchses angemessen beteiligen.
Verwaltung
Zu dem Kritikpunkt „Bürokratie“ ist folgendes klarzustellen: Die Verwaltung des Fonds macht weder eine „Mammutbehörde“ erforderlich noch werden hohe Summen verschlungen, denn die Aufgabe wird zusätzlich vom Bundesverwaltungsamt, also einer schon existierenden Behörde, wahrgenommen. Die Kosten werden auf maximal fünf Prozent der Umlagesumme geschätzt. Erfahrungen aus Dänemark, wo eine Umlage zur Ausbildungsfinanzierung schon seit 15 Jahren erfolgreich praktiziert wird, zeigen, dass diese Schätzung eher zu hoch gegriffen ist. Im übrigen enthält das Gesetz eine Angemessenheitsklausel: Sollte der Verwaltungsaufwand nicht in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen, kann die Bundesregierung von der Anwendung des Gesetzes absehen.
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