30.08.2005
Berauscht von der eigenen Rhetorik
Weiter mit dem falschen Gründermythos – das ist das Motto für Angela Merkel und ihre Leute. Tatsächlich spielt die Kandidatin ihr Spiel weiter: Die heutige Lage sei so schlimm wie nach dem Zweiten Weltkrieg, meint sie. Sie zeichnet das Bild eines Landes, das am Abgrund steht. Sie vergleicht das schwere Schicksal der Kriegsgeneration mit den Herausforderungen, vor denen wir heute stehen. Das ist unhaltbar.
Und Merkels Steuertheoretiker legt noch einen drauf. Berauscht von der eigenen Rhetorik sieht Paul Kirchhof „neue Gründerjahre und ein zweites Wirtschaftswunder“ vor sich. Mit seinem marktradikalen Konzept und seinem erzkonservativem Familien- und Frauenbild aber schafft er nur eines: Einen gesellschaftlicher Rückschritt, die Ökonomisierung unserer Gesellschaft.
Doch trotz guter Umfragen gärt es bei der CDU/CSU. Viele stänkern gegen Kirchhofs Konzept. Alle Finanzminister hatten vergangenes Jahr noch einhellig die Pläne des Ex-Verfassungsrichters abgelehnt. Selbst im Wahlkampf sind es die Ministerpräsidenten Roland Koch, Christian Wulff und Günther Oettinger, die Bedenken äußern. Die Debatte um Kirchhofs Pläne sei eine mehr „akademische“, zitiert Spiegel online Edmund Stoiber. Eine klare „Watschn“ aus Bayern. „Stoiber lehnt Kirchhofs Steuerreform ab“, titelt die Financial Times.
Viele merken: Paul Kirchhof ist ein Theoretiker, praktische Erfahrungen in der Politik hat er nicht. Auch fehlt ihm der Rückhalt in der Partei. Wenn die momentane Euphorie bei CDU/CSU verfliegt, wird er das noch merken. Auch in der Wirtschaft gibt es Bedenken gegen Kirchhof: „Wir schlagen hier die Hände über dem Kopf zusammen“ zitiert die Berliner Zeitung heute einen „Vertreter eines großen Wirtschaftsverbandes“.
Noch eine Personalie: Angela Merkel hat endlich erkannt, dass Innovationen Arbeitsplätze schaffen. Heinrich von Pierer soll deshalb Wirtschaftsberater der Kandidatin werden, mit ihr über den Unterschied zwischen brutto und netto sprechen und einen „Rat für Innovation und Wachstum“ leiten. Eine Kopie: Die „Partner für Innovation“ leisten bereits heute einen wichtige Arbeit.
Merkels Liebe zu Innovationen kommt spät: Die CDU/CSU war es, die wichtige forschungspolitische Vorhaben blockiert hat. Die Exzellenzinitiative, der Pakt für Forschung und Innovation. der Abbau der Eigenheimzulage zu Gunsten von Bildung und Forschung – überall haben CDU/CSU blockiert, aufgehalten, verhindert. Und: Die zuständige Ministerin Annette Schavan ist nur eine Fahranfängerin im Formel 1 - Wagen der Innovationspolitik. Sie kann nicht mal Ganztagsschulmittel gerecht verteilen und will jetzt die Forschung nachhaltig fördern? Nicht sehr glaubwürdig wirkt Merkels Versuch, Innovationspolitik zur Chefsache zu machen.
Frau Merkel macht das Konservative in Deutschland substanzlos. Sie fährt gemeinsam mit Guido Westerwelle einen Kurs: Die Menschen müssen für die Wirtschaft funktionieren. Paul Kirchhofs Gesellschaftsbild unterstreicht das. Merkels neuer Berater von Pierer hat genau dieses Bild heute explizit gelobt.
Es wird klar: Am 18.9. geht es um eine Richtungsentscheidung. Denn wir sagen: Die Wirtschaft ist für die Menschen da, nicht umgekehrt. Wir wollen eine Wirtschaft, die Verantwortung für das Gemeinwohl trägt. Wir stehen für die soziale Marktwirtschaft. Wir stehen für Freiheit – nicht nur für die Starken. Für die SPD bleibt klar: Im Mittelpunkt unserer Politik steht der Mensch.
Zum Nachlesen:
• „Erzreaktionär, marktradikal, unredlich“, Die Welt, 30.08.2005, S.2.
• Stoiber lehnt Kirchhofs Steuerreform ab, Financial Times Deutschland, 30.08.2005, S.1.
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