08.09.2005
Hat er nun oder hat er nicht? Die Union wird nervös
Paul Kirchhof, Kurzzeit-Star von CDU/CSU, jetzt zum Schweigen verdonnerter Schattenmann, hat eine Liste. Das behauptet er zumindest. Eine Liste mit 400 oder 500 Steuervergünstigungen, die er zu Fall bringen will. Niemand weiß aber, was auf dieser Liste steht – und ob es diese Liste überhaupt gibt. Selbst CDU-Politiker können da nur den Kopf schütteln. „Ich gehe davon aus, dass wenn Paul Kirchhof sagt, dass er diese Liste hat, dass er sie auch hat.“ versucht Fraktions-Vize Michael Meister sich rauszureden. Die Frage bleibt: Hat er nun oder hat er nicht?
Die Kanzlerkandidatin weiß übrigens nicht, was ihr Schattenfinanzminister vorhat. „Zum Rätselraten, was Angela Merkel über die Streichliste wisse, sagte Kirchhof, sie müsse die Liste im Moment nicht kennen, da es zunächst auf das Wahlprogramm der Union ankomme“ schreibt die Süddeutsche Zeitung.
Unklar ist auch, bis wann Kirchhof seine Pläne umsetzen will: Mal „in der nächsten Legislaturperiode“, mal „nach 2009“. Sein Prinzip bei der Umsetzung: Alle Vergünstigungen werden radikal und ausnahmslos gestrichen. Ausgenommen werden davon nur diese und diese und diese Regelung. Das ist die neue Ehrlichkeit von CDU/CSU. Das ist die versprochene „Politik aus einem Guss“.
Was für ein Schauspiel! Da tritt ein ehemaliger Verfassungsrichter auf der politischen Bühne auf und wird von CDU/CSU und FDP gefeiert. Seine Pläne werden flugs zu „Visionen“ erklärt, seine genauen Vorhaben kennt nicht einmal die Kanzlerkandidatin. Auch wenn ihr das marktradikale Denken eines Paul Kirchhof gefällt (und Guido Westerwelle fleißig Beifall spendet), sollte sie schon wissen, was er denn vor hat. Das, was von seinen Plänen bekannt ist, fast Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung treffend zusammen: „Kirchhofs steuerpolitische Totalrasur folgt dem Motto: Ungerecht gegenüber (fast) allen ist auch gerecht.“
Die Stimmung dreht sich, unsere Umfragewerte steigen konstant. Auch N-TV meldet heute in den Nachrichten: „Das Rennen ist wieder offen.“ Angela Merkel wird es zur Kenntnis nehmen. Die Union wird nervös. Dazu kommt noch einiges: Schon meckert die Ost-CDU über die Wahlkampfstrategie ihrer Partei. Die CDU in Thüringen startet deshalb eine Kampagne auf eigene Faust – ohne die Unterstützung von Volker Kauders Arena. Rita Süßmuth unterstützt unsere Pläne für ein Elterngeld öffentlich und kritisiert klar Paul Kirchhof: „Auch ein Paul Kirchhof muss sich den Realitäten stellen und die Notwendigkeiten von heute und morgen anerkennen.“ (Frankfurter Rundschau). Was es heißt, wenn Schwarz-Gelb regiert, macht Jürgen Rüttgers gerade klar: Er will auch von BAföG-Empfängern Studiengebühren kassieren. Im Wahlkampf klang das anders. Nichts mit Ehrlichkeit. Nichts mit sozialer Gerechtigkeit. Frau Merkel kommt ins Schwitzen.
Klar ist: Es sind noch 10 Tage bis zur Wahl. Die SPD und Gerhard Schröder werden die letzten eineinhalb Wochen überall in Deutschland für eine Politik der sozialen Erneuerung kämpfen. Vieles ist in Bewegung, die Stimmung dreht sich. Das Rennen ist offen.
Zum Nachlesen:
• Wir haben es hier mit einer Trendwende zu tun“, die tageszeitung, 08.09.2005, S.3.
• Schröder halbiert Rückstand auf die Union, Financial Times Deutschland, 08.09.2005, S.13.
• Schlechte Noten für Kirchhof-Steuer, Frankfurter Rundschau, 08.09.2005, S.5.
• Paul Pandora Kirchhof, Süddeutsche Zeitung, 08.09.2005, S.4.
• Ost-CDU ärgert sich über Parteizentrale, Berliner Zeitung, 08.09.2005, S.5.
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