14.05.2006
Rede des Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Ministerpräsident Kurt Beck, auf dem außerordentlichen SPD-Bundesparteitag am 14. Mai 2006 in Berlin
Das mit dem Weitermachen, liebe Genossinnen und Genossen, verehrte
Gäste, ist ja völlig richtig. Aber so leicht kommt er uns jetzt
natürlich auch nicht davon. Ihr habt Dankeschön gesagt mit Beifall,
der ausgedrückt hat, lieber Matthias, dass wir dir dankbar sind,
dankbar für das, was du geleistet hast, und froh darüber, dass du in
unserer Mitte bleibst. Ich will dir auch persönlich ganz herzlich
Dankeschön sagen für gute Zusammenarbeit und dafür - ich darf das so
sagen -, dass sich zunehmend eine Freundschaft zwischen uns entwickelt
hat. Das wird auch so bleiben. Ich bitte dich herzlich darum. Wir
werden dich unterstützen bei deiner Arbeit in und für Brandenburg. Wir
wissen, du wirst uns unterstützen bei der Arbeit für Deutschland
insgesamt.
Der Beifall ist das Eine: Er ist wichtig und ermuntert die Seele.
Aber etwas, was dann über den Tag hinaus bleibt, ist natürlich auch
nicht schlecht. So habe ich auch ein materielles Geschenk für dich,
keines von größtem Wert, aber von ideellem und bleibendem. Das ist
Rotwein - wie könnte es anders sein? - aus meiner südpfälzischen
Heimat, liebe Freundinnen und Freunde. Aber zugegeben, jetzt einfach
eine Flasche Wein zu schenken, wäre nicht das Fantasiereichste, was
man sich einfallen lassen kann. Deshalb ist mit diesem Wein ein
lebendiger Rebstock verbunden. Den wollen wir dir mitgeben nach
Brandenburg: Möge er sich unter den dortigen klimatischen Bedingungen
gut halten!
So sehr wir den Spargel und andere hervorragende Produkte aus
Brandenburg zu schätzen wissen, liebe Freundinnen und Freunde: Ob dort
der Weinstock solche Trauben hervorbringt, dass daraus dann genießbare
Weine werden, das lasse ich einfach einmal in der Obhut des lieben
Gottes! Deshalb haben wir gedacht, lieber Matthias, wir schenken dir
gleichzeitig eine Reihe von Rebstöcken, die in der Pfalz stehen,
sodass du dich ab sofort Winzer und Weinbergsbesitzer nennen kannst.
Es ist ein überschaubarer Weinberg, wie ich zugebe. Aber für einige
Liter jedes Jahr - da bin ich sicher - wird es reichen. Es wird ein
guter Rotwein sein. Wir wissen, dass dir ein Glas Rotwein schmeckt und
Rotwein passt natürlich zu uns als Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten und - noch wichtiger -: Rotwein, in Maßen genossen,
ist gesund. Diese Gesundheit wünschen wir dir.
Im Übrigen, liebe Freundinnen und Freunde, Reben werden weit über 100
Jahre alt. Sie tragen dann nicht mehr so große Mengen, aber die
Qualität wird zunehmend besser. Wir wünschen dir ein solches
Lebensalter, wie es eine gute Rebe auch erreicht. Alles Liebe, alles
Gute, ein herzliches Dankeschön an Matthias Platzeck. Wir freuen uns,
dass du in unserer Mitte bist und bleibst.
Das ist der lebendige und den haben wir schon einmal vorweg abgefüllt.
Matthias Platzeck, Ministerpräsident Brandenburg:
Danke. Ich gebe mir Mühe, dass auch aus dem etwas wird.
Kurt Beck, Ministerpräsident Rheinland-Pfalz:
Sehr geehrte Frau Djindjic! Verehrte liebe Gäste! Liebe Genossinnen,
liebe Genossen!
Ich grüße euch alle sehr herzlich zu unserem Parteitag. Ich bedanke
mich in besonderer Weise bei den Delegierten, dass sie auch dieses
Wochenende wieder in den Dienst unserer Partei gestellt haben.
Ich grüße in besonderer Weise die 150 neuen Ortsvereinsvorsitzenden,
die unter uns sind. Liebe Genossinnen und Genossen, euch und die
Delegierten will ich bitten, dass ihr die Grüße von diesem Parteitag
mitnehmt. Ich weiß: Es gibt viel Kritik an der Arbeit der Parteien.
Manche davon ist auch gerechtfertigt. Aber, liebe Genossinnen und
Genossen: Es ist auch wahr, dass Hunderttausende von Menschen für die
Demokratie in den Parteien in Deutschland aktiv sind. Ohne dieses
ehrenamtliche Engagement in Gemeinden, Städten und Landkreisen, in den
Ländern und - wie heute hier - auf Bundesebene gäbe es dieses
demokratische Gemeinwesen so nicht. Deshalb können wir auch mit
Selbstbewusstsein und mit dem notwendigen Stolz darauf schauen, wie
unsere Demokratie ehrenamtlich getragen wird. Die SPD war immer eine
Mitgliederpartei, eine Partei, die von unten nach oben ihre
Willensbildungsprozesse organisiert hat. So soll es und so wird es
weiter bleiben.
In Respekt, Dankbarkeit und in Erinnerung an Johannes Rau rufe ich
euch zu, was er uns an vielen Wochenenden zum Abschied zugerufen hat:
Grüßt mir die Ortsvereine!
Liebe Genossinnen und Genossen, lasst mich einige Bemerkungen zu mir
machen. Ich will in dieser Runde sagen, dass ich einer von denen bin,
die aus unmittelbarer persönlicher Erfahrung zur Sozialdemokratie
gekommen sind. Das ist die Erfahrung eines Menschen - der, wie es zig
Tausenden anderen auch gegangen ist - in den Jahren unmittelbar nach
dem Zweiten Weltkrieg in eine Volksschule gegangen ist, in der vier
Klassen in einem Klassenraum von einer Lehrerin oder einem Lehrer
unterrichtet worden sind. Auch aus den Erfahrungen, die ich in meiner
Lehrzeit gemacht habe: in einer Zeit, als es noch kein
Berufsbildungsgesetz gegeben hat, und auch aus der Erfahrung mit der
Arbeit in einem Akkordlohnverfahren, einem Gedingelohnverfahren, wie
es damals hieß. Hier lernte man, dass man dann, wenn die
Voraussetzungen nicht in Ordnung waren und die Betriebs- und
Personalräte nicht vernünftige Bedingungen ausgehandelt hatten, für
seine Familie weniger heimbrachte. Das war manchmal für eine junge
Familie elend eng. Diese Erfahrungen haben mich zunächst als
Jugendlicher dazu bewogen, mich zu engagieren und für mehr
Gerechtigkeit zu kämpfen.
Mein erstes Engagement war in der katholischen Arbeiterjugend. Ich
habe dem dann gewerkschaftliches Engagement hinzugefügt: In der
Jugendarbeit, in der Arbeit in der Gewerkschaft, in der
Personalvertretung. Ich habe zunehmend gespürt, dass das allein nicht
ausreicht. Es kam mir auch darauf an, mich darüber hinaus zu bemühen,
dass die Bedingungen für gleichere, gerechtere Chancen sich
verbessern. Deswegen habe ich mich politisch engagiert. Das, was in
dieser Zeit uns Jungen Willy Brandt vorgegeben hat, hat mich
begeistert: die SPD als linke und freie Kraft in dieser Gesellschaft
zu verstehen, die die Kraft zur Veränderung und den Willen zur
Erneuerung hat. Sein Wort in seiner ersten Regierungserklärung Mehr
Demokratie wagen!, diese Aussage zusammen mit einer kommunalen
Aufgabe, um die ich mich kümmern wollte, hat mich 1972 zur
Sozialdemokratie gebracht.
Liebe Genossinnen und Genossen, es gibt viele Wege, um in diese
Sozialdemokratie zu finden. Alle diese Wege haben eines gemeinsam,
nämlich, dass wir darum ringen wollen und dass wir danach streben
wollen, diese Gesellschaft gerechter zu machen. Dieses Streben wollen
wir und werden wir uns bewahren, liebe Freundinnen und Freunde.
Als ich, nachdem Matthias Platzeck, dem ich noch einmal herzlich
danke, mir gesagt hat, wie es um seine Gesundheit steht, mich mit der
Frage auseinander gesetzt habe, dass diese Aufgabe auf mich zukommt,
habe ich natürlich mit Freundinnen und Freunden und auch mit meiner
Familie gesprochen. Mein Vater er ist 84 Jahre alt und hat ein Leben
lang als Maurer gearbeitet hat mir gesagt: Junge, das ist eine große
Baustelle.
Er hat Recht, liebe Genossinnen und Genossen.
Das ist eine große Baustelle. Weil es eine große Baustelle ist, wissen
wir alle, dass man nur gemeinsam wirklich vorankommen kann beim
Weiter- und Aufbauen. Deshalb bitte ich euch alle, liebe Genossinnen
und Genossen: Wir sind die Sozialdemokratische Partei. Jedes einzelne
unserer Mitglieder, alle, die an den unterschiedlichsten Stellen
Verantwortung tragen. Wenn wir dies gemeinsam immer in dem Bewusstsein
behaupten und gemeinsam die richtigen Lehren daraus ziehen, uns
anstrengen, werden wir auch weiterhin die bestimmende Kraft in
Deutschland bleiben. Denn unsere Ideen sind die richtigen, liebe
Freundinnen und Freunde.
Macht euch keine Sorgen: Ich weiß sehr wohl, dass Rheinland-Pfalz
nicht Deutschland ist. 4 Millionen sind nicht 82 Millionen Menschen.
Aber eines ist und bleibt klar: Wer Verantwortung an der Spitze einer
Partei hat, muss auch Führungskraft zeigen. Ich will dies tun. Aber
ich will genauso ich empfinde das überhaupt nicht als Widerspruch im
Team arbeiten, weil ich überzeugt bin, dass wir nur dann erfolgreich
sein können, wenn diejenigen, die von euch oder von den Bürgerinnen
und Bürgern in Verantwortung gewählt worden sind, gemeinsam an dieser
Baustelle arbeiten. Deshalb biete ich den Parteigremien eine enge und
vertrauensvolle Zusammenarbeit an. Ich spreche den Parteirat an mit
Claus Möller an der Spitze: Auf euch, liebe Genossinnen und Genossen,
setze ich in besonderer Weise. Ich bin davon überzeugt , dass der
Parteirat die Aufgabe hat, nicht nur die Führungsgremien der Partei zu
beraten, sondern auch ein Bindeglied zu sein zu denen, die vor Ort
unsere Arbeit tragen. Liebe Genossinnen und Genossen, ich will mit dem
Parteivorstand, dem Führungsgremium unserer Partei, offen und intensiv
zusammenarbeiten. Das gilt natürlich auch für das Präsidium unserer
Partei: für meine Stellvertreterinnen und Stellvertreter
einschließlich Jens Bullerjahn, der es heute werden soll und sicher
auch werden wird. Das gilt für die Schatzmeisterin und es gilt in ganz
besonderer Weise für den Generalsekretär. Liebe Genossinnen und
Genossen, lasst mich an Hubertus Heil hier vor diesem Parteitag sagen:
Lieber Hubertus, du machst einen hervorragenden Job. Ich möchte dir
heute dafür Dankeschön sagen.
In gleicher Weise biete ich den Landes- und Bezirksvorsitzenden eine
gute und enge Zusammenarbeit an. Das ist gut angelaufen, und wir
wollen es auch so fortsetzen. Liebe Genossinnen und Genossen, uns ist
allen bewusst das sage ich an die Adresse von Peter Struck, Olaf
Scholz und den Mitgliedern unserer Bundestagsfraktion: Die große
Verantwortung, die wir auf Bundesebene übernommen haben kann nur im
engen Zusammenwirken zwischen der Partei und unserer
Bundestagsfraktion erfolgreich sein. Liebe Genossinnen und Genossen,
wir haben in unserer Fraktion einen sehr hohen Fach- und Sachverstand.
Wir brauchen ihn, um mitzuwirken an den Entscheidungen und um diese
Entscheidungen auch im sozialdemokratischen Sinne umzusetzen. Ich
bitte euch weiterhin um gute Zusammenarbeit und ich bedanke mich bei
euch lieber Peter und lieber Olaf, und bei allen anderen, für die gute
Zusammenarbeit der letzten Wochen.
Gestattet mir, dass ich mich in ganz besonderer Weise auch an Franz
Müntefering und an unsere Mitglieder in der Bundesregierung wende. Wir
wissen, dass wir uns auf euch verlassen können. Wir wollen unseren
Beitrag leisten, Orientierung zu geben aus der Partei heraus und zu
den wichtigen Themen die Linien aufzeigen, die aus der demokratischen
Willensbildung der Partei entstehen. Wir wollen euch aber auch helfen,
dass ein Optimum dessen, was wir uns wünschen, dann auch umgesetzt
werden kann. Das ist der Wille der Partei , davon bin ich überzeugt
und ich will meinen Beitrag leisten, dass dies in einem guten
Miteinander, wie es bisher war, auch in Zukunft fortgesetzt werden
kann. Danke für eure Arbeit!
An Martin Schulz gerichtet und an unsere Genossinnen und Genossen im
Europäischen Parlament aus Deutschland und aus ganz Europa sage ich:
Wir wissen um die Bedeutung dieser europäischen Entwicklung, gerade
auch für die Umsetzung unserer politischen Ideen und Vorstellungen.
Wir wissen, dass ihr eine schwierige Aufgabe dort für uns wahrnehmt.
Ich finde, es ist eine große Ehre für die deutsche Sozialdemokratie,
dass mit Martin Schulz einer der unseren an der Spitze der
sozialdemokratischen und sozialistischen Fraktionen in Europa steht.
Wir wollen eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Wir wissen:
Europapolitik ist nicht Außenpolitik. Sie ist ein Teil der
Alltagsgestaltung der Menschen in ganz Europa und in Deutschland.
Liebe Genossinnen und Genossen, es ist aber auch wahr, dass wir in
unserer Partei vieles zu leisten haben, dass wir große
Herausforderungen zu bestehen haben. In den letzten Tagen habe ich
viele Briefe und E-Mails bekommen von Genossinnen und Genossen, von
jüngeren und älteren. Ich habe viel Ermutigung erfahren und gespürt,
wie die Menschen und unsere Mitglieder bei uns sind, wie sie um diese
Partei bangen und fürchten und wie sie hoffen.
Ich habe einen Brief ausgewählt, aus dem ich ein paar Passagen
zitieren möchte. Es ist ein Brief eines Genossen aus
Baden-Württemberg. Ich mache mir nicht alle Analysen zueigen, wie ich
ausdrücklich sagen möchte. Aber er hat in wenige Sätze gefasst, was
aus vielen der Briefe, die an mich gegangen sind, herauslesbar gewesen
ist. Er schreibt nach vielen Worten der Ermutigung:
Es wird ein schwerer, aufreibender und dornenreicher Weg sein. In den
letzten zehn Jahren - lass uns das unter alten Sozialdemokraten
feststellen - wurde die Basis mehr und mehr in das sprachlose Abseits
gedrängt. Es gab keine glaubhaften Argumente mehr. Der ständige
Wechsel an der Führungsspitze der Partei, die ständigen Querelen und
Querelchen: Wir an der Basis wussten nicht mehr, wo hinten und wo
vorne ist.
Liebe Genossinnen und Genossen, ich sage noch einmal: Ich mache mir
diese Analyse in dieser Schärfe nicht zueigen. Aber die Sorge, die in
diesen Worten zum Ausdruck kommt, die müssen wir uns gemeinsam zueigen
machen.
Wenn wir eine nüchterne Analyse vornehmen, dann wissen wir, dass wir
Wahlergebnisse hatten, die uns besorgt machen müssen. Dann wissen wir,
dass wir seit 1990 fast 37 Prozent unserer Mitglieder verloren haben,
viele, weil sie gestorben sind, aber leider auch sehr viele, weil sie
ausgetreten sind. Liebe Genossinnen und Genossen, wenn wir den
heutigen Stand halten wollen, dann müssen wir bis zum ordentlichen
Parteitag 2007 auf das Ziel hinarbeiten, 57.000 neue Mitglieder zu
gewinnen. Das ist ein großes Ziel, wir wollen ein großes Stück davon
miteinander schaffen. Ich bitte euch, daran mitzuarbeiten und
mitzuhelfen.
Deshalb werden wir noch in diesem Jahr eine Werbeaktion einleiten. Wir
werden für unsere Ziele eintreten. Wir werden Menschen ansprechen und
ihnen sagen, dass die Sozialdemokratie sich geöffnet hat, dass man
über Mitgliedschaft auf Zeit, dass man in Foren, dass man in den
entsprechenden Projekten bei uns mitarbeiten kann, uns kennen lernen
kann. Wir hoffen, dass dann viele dauerhaft zu uns kommen.
Liebe Genossinnen und Genossen, wir wollen dabei darauf setzen, dass
schon bei der letzten Bundestagswahl im Herbst 2005, aber auch bei den
Landtagswahlen in diesem Frühjahr so viele junge Menschen, auch ganz
junge Menschen, und viele Familien, oft mit Kindern, bei unseren
Veranstaltungen waren, so viele, wie ich es viele Jahre lang nicht
mehr erlebt habe. Diese Menschen sind offensichtlich an uns
interessiert. Da sind Menschen interessiert an der Politik, die wir
für Familien anbieten. Da sind Menschen interessiert an unseren
bildungspolitischen Ansätzen, an unserem Streben nach Gerechtigkeit.
Diese Menschen sollten wir ansprechen und als Mitstreiterinnen und
Mitstreiter gewinnen. Ich glaube, wir haben da eine große Chance.
Zu Beginn dieser Woche habe ich mich mit Schriftstellerinnen und
Schriftstellern getroffen und mit ihnen über die kulturelle Dimension
unseres Lebens in Deutschland und Europa diskutiert. Wolfgang Thierse
war mit dabei. Es war eine spannende Diskussion, aus der wir viel
mitgenommen haben. Wir wollen sie fortsetzen. Ich erwähne dies an
dieser Stelle, weil mir Günter Grass, der dabei war, etwas mit auf den
Weg gegeben hat, nämlich die Anregung, die Wurzeln, die Geschichte
unserer Sozialdemokratie wieder herauszustellen. Ich finde, er hat
Recht.
Nicht weil unser Blick rückwärts gerichtet sein soll, sondern weil wir
wissen, dass aus diesen Wurzeln heute und auch für die Zukunft die
Kraft erwächst, mit der wir auf die Herausforderungen unserer Zeit die
richtigen Antworten geben können. Das möchte ich erreichen.
Liebe Genossinnen und Genossen, lasst mich bei dieser Analyse auch
deutlich machen, dass wir an vielen Stellen und in vielen Ortsvereinen
eine Alterszusammensetzung haben, die es besonders erforderlich macht,
jüngere Menschen zu gewinnen. Dabei will ich nicht missverstanden
werden. Ich erachte das, was die Älteren in unserer Mitte, was die
Arbeitsgemeinschaft 60 plus leistet, für unverzichtbar. Das ist ein
ganz hohes Gut.
Ich will die Gelegenheit nutzen, an dieser Stelle Hans-Jochen Vogel
ganz herzlich zu danken für seinen Ratschlag und für die Bereitschaft,
mit diesem Ratschlag auch in Zukunft nicht zu geizen. Ich will Erhard
Eppler, Egon Bahr sowie Ernst Breit und andere in dieses Dankeschön
einbeziehen. Wir wollen eure Erfahrung nutzen, wir wollen auf eure
Erfahrung aufbauen. Das ändert nichts daran, dass wir Junge gewinnen
wollen und müssen, damit sie den Stab übernehmen können und unsere
Ideen und unsere Arbeit fortsetzen können.
Liebe Genossinnen und Genossen, unsere Bemühungen werden auch darauf
zu richten sein, dass wir in Diasporagebieten der Sozialdemokratie,
insbesondere auch im Osten Deutschlands, Parteigliederungen haben, für
die nur eine Handvoll Menschen arbeiten. Ich habe mich vorhin gerade
mit Matthias Platzeck darüber unterhalten. Was die Genossinnen und
Genossen dort leisten, ist eine großartige Sache. Wir können gar nicht
dankbar genug dafür sein. Wir wollen es ihnen auch dadurch danken,
dass wir uns darum bemühen, die Basis in diesen Regionen zu
verbreitern, damit mehr Menschen dort Mut fassen, für die
Sozialdemokratie einzustehen.
Wenn wir das schaffen wollen, dann müssen wir die Sozialdemokratie
erkennbar machen. Ich glaube, es ist notwendig, dass wir als linke
Volkspartei, die wir sind und sein wollen, mit einem klaren Profil in
Deutschland erkennbar sind. Wir können stolz sein auf das, was wir in
der Geschichte erarbeitet haben. Wir haben nichts zu verstecken,
nichts zu verbergen. Lasst uns auf unsere Arbeit, auf unsere Partei
stolz sein und das auch öffentlich deutlich machen durch Handeln und
Reden, liebe Freundinnen und Freunde.
Genauso wichtig ist es, dass wir mitten im Volk verankert bleiben,
dass wir nahe bei den Menschen bleiben. Nahe bei den Menschen, wie wir
mit Problemen umgehen, wie wir darüber reden, wie wir den Menschen
erklären, was notwendig ist, um auch in Zukunft in einer sozial
gerechten und wirtschaftlich erfolgreichen Gesellschaft leben zu
können.
Liebe Genossinnen und Genossen, es ist unsere Aufgabe, dass wir die
Breite, die unsere Partei erreichen kann, wollen und dass wir diese
Vielfalt der Meinungen innerhalb des sozialdemokratischen Spektrums
auch gelten lassen und respektieren. Daran darf es keinen Zweifel
geben.
Es kann und darf auch das hat uns Willy Brandt einmal ins Stammbuch
geschrieben - keine vernünftige linke demokratische Kraft auf Dauer
neben uns geben. Wir wollen dieses vernünftige Spektrum als
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten abdecken, liebe Freundinnen
und Freunde.
Das heißt aus meiner Sicht, die offene Diskussionskultur, wie sie von
Matthias Platzeck praktiziert worden ist, fortzusetzen. Aber das heißt
auch, dass wir durch Diskussionen in der Sache öffentlich in
Erscheinung treten, aber nicht durch den Eindruck, Ränke und Streit
würden im Vordergrund stehen.
Und um eines will ich auch mit aller Kraft werben: nämlich um
Vertrauen. Ich selber will Vertrauen investieren in die
Führungsgremien, in jede Genossin, in jeden Genossen. Ich denke, wir
müssen mehr Vertrauen ineinander investieren. Denn wenn wir uns in den
eigenen Reihen nicht mehr vertrauten, als wir dem glauben, was andere
schreiben oder sagen, was wir gesagt haben sollen, dann werden wir
auch nicht als eine Einheit wahrgenommen. Und wer nicht als eine
handlungsfähige Einheit wahrgenommen wird, der bekommt auch das
Vertrauen der Wählerinnen und Wähler nicht.
Zu unseren Orientierungen gehört die Verlässlichkeit - Verlässlichkeit
in dem, was wir sagen und beschließen, Verlässlichkeit der Personen,
die für uns handeln, aber auch Verlässlichkeit, dass wir Verträge
halten, die wir unterschrieben haben, beispielsweise
Koalitionsverträge, ob auf Bundesebene, auf Landesebene oder in
kommunaler Verantwortung. Diese Verlässlichkeit werden wir in der
Großen Koalition auf Bundesebene bieten. Aber, liebe Genossinnen und
Genossen, wir werden auch erkennbar bleiben. Wir können das, weil in
der Koalitionsvereinbarung unsere Handschrift klar erkennbar ist. Es
gibt überhaupt keinen Grund zu fürchten, dass wir in der
Bundesregierung an die Seite gedrängt werden, liebe Genossinnen und
Genossen.
Einen letzten Punkt will ich in diesem Zusammenhang nennen. Wir müssen
über den Tag hinaus Orientierung geben. Das ist der Grund, warum ich
die begonnene Grundsatzprogrammdiskussionen gern weiterführe. Liebe
Genossinnen und Genossen, die Grundwerte, die die Arbeit dieser
Sozialdemokratie getragen haben und tragen, bleiben richtig. Freiheit,
Gerechtigkeit, Solidarität und Friedensliebe - das bleibt unser
Markenzeichen, das bleibt unser Streben, und das bleiben unsere
Orientierungspunkte. Wir werden nicht zulassen, dass sich in
Deutschland eine Debatte durchsetzt, in der Freiheit und Gerechtigkeit
in ein seltsames schiefes Verhältnis zueinander gesetzt werden, als
müsse man nur grenzenlose Freiheit lassen, dann würde sich die
Gerechtigkeit schon einstellen. Wir wissen, das ist falsch. Das ist
eine Fehlorientierung. Wir wollen Freiheit und Gerechtigkeit, liebe
Freundinnen und Freunde!
Lasst uns, liebe Genossinnen und Genossen, nicht auf das Glatteis
gehen, dass wir Chancengerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit zu
einem Widerspruch erklären.
Auch das wäre eine Fehlentwicklung. Ohne vernünftige
Verteilungsgerechtigkeit, ohne eine vernünftige materielle Grundlage
für die Menschen kann es letztendlich auch keine Chancengleichheit
geben. Wir wissen, dass das so ist. Deshalb ringen wir um beides.
Dass es für uns vor dem Hintergrund der Globalisierung, neuer
Konflikte in dieser Welt, der Terrorgefahr, einer erweiterten
Europäischen Union, zu der wir uns ausdrücklich bekennen, der
demografischen Entwicklung, dass es vor diesem Hintergrund notwendig
ist, unsere Linien fortzuschreiben, unser Koordinatensystem zu
aktualisieren, das ist wahr. Aber ich sage noch einmal in aller
Deutlichkeit: Wir haben keinerlei Grund, mit unserer bisherigen Arbeit
zu brechen. Wir haben nur Grund, unsere Linien fortzuentwickeln und
für die Zukunft tauglich zu machen. Daran wollen wir in dieser
Grundsatzprogrammdiskussion arbeiten mit möglichst vielen in der
Gesellschaft und mit möglichst allen in unserer Partei, liebe
Genossinnen und Genossen.
Fraglos ist es wahr: Eine der größten Sorgen, die die Menschen
umtreiben, ist die, wie es mit ihren Arbeitsplätzen, mit der
Ausbildung für ihre Kinder, wie es mit unserer Wirtschaft weitergeht,
die Sorge von kleineren selbständigen Existenzen, wie sie bestehen
können gegen eine Dominanz von Konzernen, die sie manchmal an die Wand
zu drücken drohen, die Sorge um soziale Sicherheit insbesondere im
Alter, im Falle der Pflegebedürftigkeit und im Falle der Krankheit.
Liebe Genossinnen und Genossen, lasst uns dabei den Menschen gegenüber
eines deutlich machen: Wir, die Sozialdemokratie in Deutschland, sind
die Partei der sozialen Marktwirtschaft, einer erneuerten, einer
fortgeschriebenen sozialen Marktwirtschaft. Uns fällt die Aufgabe zu,
die soziale Dimension in unserer Gesellschaft lebendig zu halten,
liebe Genossinnen und Genossen.
Wer Zweifel daran hat, dass dieser Anspruch gerechtfertigt ist, der
oder dem rate ich nachzulesen, was die CDU auf ihrem Leipziger
Parteitag beschlossen hat und wie dort zum Teil geredet worden ist.
Liebe Genossinnen und Genossen, über die Rolle der FDP in diesem
Zusammenhang muss ich nicht reden. Und die Grünen werden, unter
wirtschaftlichen und sozialpolitischen Gesichtspunkten betrachtet, der
FDP immer ähnlicher.
Die Wählerinnen und Wähler, liebe Genossinnen und Genossen, haben ja
im Herbst letzten Jahres eine klare Entscheidung getroffen. Sie haben
klar entschieden, dass sie eine Politik à la Merz, Kirchhof und
Westerwelle für diese Bundesrepublik Deutschland nicht wollen.
Deshalb ist es unsere Aufgabe und deshalb bleibt es unsere Aufgabe, in
dieser Legislaturperiode auf Bundesebene in der Großen Koalition dafür
zu sorgen, dass sich eine solche Politik nicht durchsetzt. Ich finde
- ich sage das noch einmal -: Die Koalitionsvereinbarung sieht aus
unserem Blickwinkel alles andere als schlecht aus.
Liebe Genossinnen und Genossen, wir haben den Anspruch, die
Gesellschaft zusammen zu halten. Wir stehen in der konkreten Gefahr in
Deutschland, dass unsere Gesellschaft auseinander driftet - in
Arbeitsplatzbesitzer und Arbeitslose, in Kinder aus reichen und Kinder
aus armen Familien, in erfolgsverwöhnte und chancenlose Menschen.
Wir werden nicht zulassen, dass diese Gesellschaft auseinander fällt
in diejenigen, die drinnen sind, und in die draußen, ohne Chance
hineinzukommen. Wir wissen, liebe Genossinnen und Genossen, wo das
Oben und das Unten der Gesellschaft in einer Weise auseinander treten,
dass arme und reiche Leute nichts mehr miteinander zu tun haben, da
ist die Gesellschaft am Ende und das Miteinander spielt keine Rolle
mehr. In einer solchen Gesellschaft sind dann auch die Freiheit, die
Sicherheit und das Recht am Ende. Denn die Stärke des Rechts ist dann
verkommen zum Recht der Stärkeren. Das lassen wir nicht zu!
Liebe Genossinnen und Genossen, lasst uns in diesem Sinne für eine
gerechtere Gesellschaft kämpfen. Wir wollen, dass Deutschland eine
erfolgreiche Wirtschaft hat. Uns Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten muss niemand erklären, dass jeder Euro zuerst
verdient werden muss, bevor er ausgegeben werden kann. Aber ich sage
noch einmal in aller Klarheit: Wir werden nicht zulassen, dass alles,
was uns in dieser Gesellschaft wichtig ist, dass Kultur, dass soziale
und ökologische Verantwortung der Ökonomie untergeordnet werden. Das
ist nicht unser Bild von einer Gesellschaft der Zukunft.
Deshalb arbeiten wir an einem Leitbild, das wirtschaftlichen und
arbeitsmarktpolitischen Erfolg mit sozialer Gerechtigkeit,
ökologischer Vernunft und mit dem Streben nach einer reichen Kultur
verbindet. Es ist ja nicht so, dass wir an diejenigen, die die
wirtschaftliche Macht in Deutschland haben, nur mit Forderungen
herantreten. Unsere Gesellschaft ist eine stabile und sichere
Gesellschaft, in der es sich lohnt zu investieren, weil man hier weiß,
dass das Investment nicht infrage gestellt wird. Diese Gesellschaft
hat eine Infrastruktur entwickelt und sie muss weiterentwickelt werden
-, die ihresgleichen sucht. Wir haben - das ist das Allerwichtigste -
hoch- und höchstqualifizierte und höchst motivierte Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe
Genossinnen und Genossen. Dies ist ein Wert, der nicht überall auf der
Welt zu finden ist. Bei einer schnelllebigen Veränderung der
Technologien ist dies von größtem Wert, auch für die Unternehmen.
Dafür erwarten wir Respekt, liebe Genossinnen und Genossen.
Deutschland bietet mit seinen Hochschulen und seinen
Forschungseinrichtungen eine hervorragende Investitions- und
Innovationsfreundlichkeit. Wir wissen, dass wir hier einen Schwerpunkt
zu setzen haben, dass dieser für unsere politischen Anstrengungen in
den kommenden Jahren zentral sein muss. Es ist gut so, dass wir darauf
bauen, nicht die alten und unverantwortbaren Technologien wie die
Atomtechnologie einfach weiter zu betreiben, sondern dass wir auch und
gerade auf unsere hohe Leistungsfähigkeit hinsichtlich der
Umwelttechnologien setzen. Bei diesen Technologien sind wir Spitze in
der Welt. Wir wollen das in Deutschland und im internationalen
Wettbewerb weiter ausbauen.
Ich will auf das internationale Ansehen setzen, das Deutschland und
deutsche Leistungen genießen. Oft ist unsere Leistung international
viel anerkannter, als wir selber wahrnehmen. Wir gehören nicht zu
denen, die unser Land schlecht reden.
Ich habe dargestellt, was Deutschland zu bieten hat. Dafür erwarten
wir auch etwas. Wir erwarten, dass Manager, die wirtschaftliche
Entscheidungen für diejenigen treffen, die ihr Kapital einsetzen und
Renditen erwirtschaften wollen, auch für die Menschen, die ihre
Leistungen in den Betrieben erbringen, Verantwortung übernehmen. Diese
Verantwortung soll genauso wie die Gewinnerwartungen im Mittelpunkt
der Entscheidungen stehen, Genossinnen und Genossen.
Es ist auch alles andere als unschicklich einzufordern, dass das, was
insbesondere unsere Kommunen, aber auch die Länder und der Bund an
äußeren Bedingungen zur Verfügung stellen, bei Standortentscheidungen
nicht einfach als wertlos betrachtet wird. Deshalb ganz klar und
eindeutig: Deutschland ist kein Billiglohnland und will und darf kein
Billiglohnland werden. Wir wollen Hochleistungsland bleiben.
Für uns ist klar: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben Anspruch
auf Anerkennung für ihre Leistung und sie haben Anspruch auf einen
gerechten Lohn. Liebe Genossinnen und Genossen, lasst mich eines an
dieser Stelle hinzufügen: Wenn wir in einer sich verändernden
Gesellschaft, in der wir den Arbeitsmarkt gerade auch im Bereich der
privaten Dienstleistungen deutlich erweitern müssen, für einen
gerechten Arbeitslohn sorgen wollen, dann kommt es nicht nur darauf
an, dass Niedriglohnsektoren abgeschafft werden und dass man
vernünftige Arbeitsbedingungen hat. Es kommt auch darauf an, dass wir
lernen, Arbeit, auch die scheinbar einfache Arbeit zu respektieren.
Nur dann werden wir in Deutschland Menschen finden, die eine solche
Arbeit annehmen. Es ist nicht entscheidend, ob man an einer Hochschule
oder als Müllwerker gute Arbeit leistet. Auch wer diese einfache
Arbeit macht, hat Respekt, Anerkennung und menschliche Behandlung
verdient.
Wir bleiben dabei: Wer vollschichtig arbeitet, der hat Anspruch
darauf, von seiner Arbeit anständig leben zu können. Wir wollen keine
Gesellschaft, in der man fünf Jobs braucht, um seine Familie über die
Runden bringen zu können.
Dabei sind Tarifverträge zentral. Es gehört dazu, dass wir vernünftige
Mindestlöhne finden. Es gehört ebenfalls dazu, dass wir uns intensiv
um Wiedereingliederung derjenigen, die draußen sind, bemühen. Ich
danke Franz Müntefering sehr für seine Initiativen. Und zu unseren
Anstrengungen auf dem Arbeitsmarkt gehört auch, dass wir, in
differenzierter Weise wohlgemerkt, über Kombilöhne zu reden bereit
sind.
Liebe Genossinnen und Genossen, wir wissen, dass starke Gewerkschaften
eine ganz entscheidende Voraussetzung sind, um die Balance in unserer
Gesellschaft zu halten. Deshalb bekennen wir uns dazu, dass wir in
Deutschland handlungsfähige Gewerkschaften brauchen. Wir bekennen uns
zu einer unangefochtenen Tarifautonomie.
Und wir bekennen uns dazu, liebe Genossinnen und Genossen, die
Mitbestimmung zu bewahren, in den Unternehmen genauso wie in den
Verwaltungen.
Liebe Genossinnen und Genossen, diejenigen, die ständig davon reden
das ist ja richtig , dass man den Menschen, die auch Verbraucherinnen
und Verbraucher sind, Mut machen muss, das Notwendige zu kaufen und
das Notwendige für ihre Familie zu investieren, kann ich nicht Mut
machen, wenn ich parallel dazu die Kündigungsschutzregelungen kaputt
mache. Wo soll denn der Mut bei einer jungen Familie mit Kindern
herkommen?
Wir haben heute Morgen vor streikenden und sich solidarisierenden
Kolleginnen und Kollegen gesprochen, Gewerkschaftsrepräsentanten und
auch ich. Ich will vor diesem Parteitag, weil es mir wichtig ist, dass
die Grundorientierung auch hier deutlich wird und ausgesprochen wird,
sagen, was ich dort versucht habe, deutlich zu machen:
Erstens. Wir wollen Gewerkschaften, auch im Bereich des öffentlichen
Dienstes, die mit den Arbeitgebern auf gleicher Augenhöhe über die
Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verhandeln.
Zweitens. Wir werden keine Strategie mitmachen, die meint, man könne
die Gewerkschaften in die Knie zwingen.
Drittens. Wir werden keinen Weg mitgehen, der dazu führt, dass
ausgerechnet im öffentlichen Sektor bei den Ländern auf Dauer ein
tariffreier Raum entsteht. Das wäre ein verheerendes Signal auch in
andere Tarifbereiche hinein. Deshalb wollen wir das nicht, liebe
Genossinnen und Genossen.
Ich hoffe, dass bei den Verhandlungen, die am 18./19., also in der
jetzt beginnenden Woche, aufgenommen werden, eine Tariflösung
herauskommt, die fair ist. Mehr gebietet die Tarifautonomie, nicht zu
sagen. Liebe Genossinnen und Genossen, ich möchte den Gewerkschaften,
dir, lieber Michael, und den Kolleginnen und Kollegen der
Einzelgewerkschaften, Ihnen, lieber Herr Heesen, und Ihren
Organisationen, ein faires Miteinander und einen intensiven Dialog um
die Lösung der Zukunftsfragen anbieten. Wir legen Wert darauf, mit
Ihnen vertrauensvoll zusammenzuarbeiten.
Ich biete den Repräsentantinnen und Repräsentanten der Wirtschaft
diesen Dialog in gleicher Weise an. Wir brauchen das Gespräch
miteinander statt Verlautbarungen übereinander. Manchmal hat man ja
bei dem einen oder anderen der Wirtschaftsverbandsführer ich
differenziere sehr bewusst, man muss da genau formulieren den
Eindruck, dass ihnen ihr Parteibuch näher ist als die anderen
Aufgaben. Aber das muss nicht so sein und das werden wir auch zu
durchbrechen versuchen, indem wir vernünftig miteinander reden.
Im Übrigen will ich, was den Dialog und das Gespräch miteinander
angeht, auch allen anderen gesellschaftlichen Gruppen, insbesondere
den Kirchen, den Wohlfahrtsverbänden, den Sportverbänden und den
Kulturverbänden, ein intensives Miteinander anbieten, damit wir
voneinander wissen, wie gedacht wird, wie die Positionen sind, weil
wir nur dann eine Chance haben, diese Positionen in unsere
Überlegungen einzubeziehen.
Ich habe vorhin gesagt, dass ich zum Thema Steuern noch einige
Bemerkungen machen will. Ich will diesem Thema selbstverständlich
nicht ausweichen. Dabei ist und bleibt klar ich sage dies gerade nach
den Stürmen, die über Ostern entfacht worden sind : Das Gemeinwesen
das ist der Staat, das sind die Kommunen, Kirchen und
Wohlfahrtsverbände und auch die, die in subsidiärer Weise an der
Gestaltung unserer Gesellschaft mitwirken braucht einen angemessenen
Anteil an dem, was in Deutschland erwirtschaftet wird. Sonst wird eine
Mehrzahl von Menschen unter diesem zu geringen Anteil zu leiden haben,
liebe Genossinnen und Genossen.
Es ist und bleibt für uns klar: Es wird immer zu prüfen sein: Was kann
denn das Individuum leisten? Wo bedarf es nicht mehr der
gemeinschaftlichen Unterstützung oder Verantwortung aufgrund der
gesellschaftlichen Veränderungen? Wir wollen so viel individuelle
Freiheit wie richtig und verantwortbar.
Aber es kommt auch darauf an, dass wir wissen, wo die Grenzen dieser
Entwicklung sind, weil ein großer Teil der Menschen sonst die
Entwicklungen in der Zukunft nicht mehr unter verantwortbaren
Bedingungen mitvollziehen kann. Es ist wahr: Wir müssen immer wieder
und aufs Neue fragen: Wie effizient erfüllen wir unsere Aufgaben als
Staat und Gemeinschaft? Diese Effizienzfrage ist kein Widerspruch zum
Bekenntnis zu den Aufgaben, die die öffentlichen Hände haben. Dass wir
an diesen Aufgaben festhalten, dass es Aufgabe des Staates ist, für
innere und äußere Sicherheit zu sorgen, für eine vernünftige
Infrastruktur, für vernünftige ökologische Bedingungen, für einen
kulturellen Reichtum und Freiheit im kulturellen Bereich, für Bildung
und Ausbildung, für Hochschulen, für Forschung, dass es darum geht,
den sozialen Ausgleich zu sichern, daran kann es doch ernsthaft keinen
Zweifel geben. Wir lassen uns da nicht in die Defensive drängen. Die
deutsche Sozialdemokratie ist bereit und willens, über eine
angemessene Rolle des Staates und der Gemeinschaft zu diskutieren und
das, was wir uns vorstellen, aktiv zu verteidigen.
Nein, wir plädieren nicht für einen üppigen Staat und auch nicht für
einen alles beherrschenden Staat, aber für ein handlungsfähiges
Gemeinwesen werden wir eintreten. Liebe Genossinnen und Genossen, zu
einem handlungsfähigen Gemeinwesen gehört auch, dass wir die
öffentlichen Haushalte in Ordnung bringen. Das ist eine große
Herausforderung. Peer Steinbrück, die Finanzminister und Senatoren auf
Länderebene und die Kämmerer auf kommunaler Ebene sollten dabei unsere
Unterstützung haben.
Es ist ich wusste, dass der Beifall hier eher gering sein wird , liebe
Genossinnen und Genossen, lieber Peer Steinbrück, einfach wahr: Wenn
wir jetzt in unserer Zeit, im Zuge der sich abzeichnenden
wirtschaftlichen Verbesserung, die wir in Deutschland haben, nicht die
öffentlichen Haushalte in Ordnung bringen, dann handeln wir
unsolidarisch gegenüber den Kindern, die heute groß werden. Es werden
weniger Menschen im arbeitsfähigen Alter da sein, als dies heute der
Fall ist, und die eine größere demokratische Verantwortung haben
werden. Denen dürfen wir nicht unangemessene Schulden mit auf den Weg
geben. Das ist auch sozialdemokratisch.
Was die Vereinbarungen in der Koalition angeht, bleibt es bei dem, was
wir festgeschrieben haben. Wir werden eine vernünftige und
verantwortliche Unternehmensteuerreform machen. Liebe Genossinnen und
Genossen, wir haben genaue Ziele miteinander formuliert. Da muss
niemand falsches Misstrauen haben. Wir haben festgelegt, dass es um
eine Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit geht. Wir
haben festgelegt, dass es um eine weitgehende Rechtsform- und
Finanzierungsneutralität geht. Und wir haben festgelegt das ist uns
ganz besonders wichtig , dass es um die Einschränkung der so genannten
steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten geht, auch um eine Verbesserung
der Planungssicherung für Unternehmen und öffentliche Haushalte, und
dass es um eine nachhaltige Sicherung der deutschen Steuerbasis geht.
Das werden die Maßstäbe sein, mit denen wir in diese
Reformdiskussionen hineingehen. Ich finde, diese Maßstäbe
berücksichtigen auch all das, was sozialdemokratisches Gedankengut
ist. Wir werden unsere Kraft einbringen, damit diese Maßstäbe auch
durchgehalten werden, liebe Genossinnen und Genossen.
Zu dem, was manche Reichensteuer nennen, will ich deutlich sagen: Es
war nicht so einfach durchzusetzen, dass nicht nur diejenigen, die
kleinere und mittlere Einkommen haben, nicht nur diejenigen, deren
Löhne im Bereich der Sozialversicherungspflicht liegen, Beiträge zur
Konsolidierung der Haushalte und zur Sicherung der Sozialsysteme
leisten müssen, sondern auch diejenigen, deren Einkommen weit oberhalb
der Sozialversicherungsgrenzen liegen, die also Spitzeneinkommen
haben. Es war in der Tat nicht einfach; ihr habt alle das Trommelfeuer
erlebt, das über uns hereingebrochen ist. Aber diese Maßnahme war
richtig und hat überhaupt nichts mit Neid, dem Dämpfen von
Leistungswilligen oder Ähnlichem zu tun. Es geht einfach darum: Wenn
schon diejenigen, die in der Gemeinschaft sehr verantwortungsbewusst
haushalten müssen, zur Kasse gebeten werden müssen, können diejenigen,
die Spitzeneinkommen haben, nicht einfach außen vor bleiben. Das ist
Teil einer vernünftigen Politik.
Wenn formuliert wird, dass Spitzenverdiener aus Deutschland weggehen
würden, weil sie jetzt 3 Prozent mehr bezahlen müssen, frage ich mich
manchmal: Was für ein Bild haben denn diese Repräsentanten der
Besserverdienenden von den Besserverdienenden? Ich glaube, auch sie
sind Menschen, die wissen, dass sie Verantwortung für die Gemeinschaft
haben. Zumindest nehme ich das von einer großen Zahl an.
Lasst mich, liebe Genossinnen und Genossen, einige Bemerkungen zum
Thema soziale Sicherheit und demografische Entwicklung machen: Wir
wissen, dass wir diese Themen über Generationen hinweg denken und
entsprechend handeln müssen. Wir wissen auch, dass die Lohnkosten -
die Belastung, die sich in niedrigeren Nettolöhnen auswirkt - von uns
zu beachten sind. Es bleibt aber dabei: Wir Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten wollen die großen Lebensrisiken der Menschen auch in
Zukunft durch solidarische Systeme abgesichert wissen. Im Alter muss
dazu notwendigerweise eine zweite Säule hinzukommen, nämlich eine
kapitalgedeckte Altersversorgung, die durch Betriebsrenten, durch die
Riesterrente und andere Formen abgesichert ist. Wir wissen, dass die
Reformen notwendig waren und weitere - an manchen Stellen muss ich
sagen: leider - notwendig sind. Aber wir müssen eben, wie gesagt, über
Generationen hinaus denken, um dieser Aufgabe gerecht zu werden.
Es geht uns darum, dass auch die Pflegebedürftigen wissen, dass sie
und ihre Familien nicht in absolute Armut fallen, wenn der Pflegefall
eintritt. Auch das werden wir zu regeln haben. Es ist nicht
unschicklich zu fordern, dass diejenigen, die in der gesetzlichen
Pflegeversicherung, genauso wie diejenigen, die in der privaten
Pflegeversicherung sind, bei gleichen, vom Gesetz vorgeschriebenen
Leistungen auch einen Anspruch darauf haben, dass zwischen diesen
Systemen ein verantwortlicher Finanzausgleich erfolgt, um die Aufgaben
erfüllen zu können.
Wir wollen, dass betriebliche Unfälle auch in Zukunft abgesichert
bleiben und nicht zum individuellen Risiko erklärt werden, genauso wie
wir überzeugt sind, dass es unsere Aufgabe ist, eine Gesundheitsreform
miteinander auf den Weg zu bringen, die den Menschen gerecht wird. Wir
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden unser
Gesundheitssystem so organisieren, dass es beispielhaft sein wird.
Jeder und jede wird versichert sein. Jeder und jedem werden die
Gesundheitsleistungen in vollem Umfang zur Verfügung stehen, und zwar
sowohl jetzt als auch in der Zukunft. Jeder und jede wird vom
gesundheitlichen Fortschritt profitieren können. Wir verbinden auch in
der Gesundheitsreform Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität; denn zu
Kosten wird jeder - nach seiner Leistungsfähigkeit - auch in Zukunft
herangezogen werden. Das ist unser Weg: Verlässlichkeit und
Bezahlbarkeit für die Patientinnen und Patienten, eine gute,
berechenbare Honorierung für die Ärztinnen und Ärzte, überdies sehr
gute Krankenhäuser und moderne Arzneimittel. Um dies zu realisieren,
setzen wir auf gesteuerten Wettbewerb. Kassen konkurrieren mit Kassen,
Ärzte mit Ärzten um die beste Qualität und den besten Service für die
Patientinnen und Patienten. Auch das, liebe Genossinnen und Genossen,
gehört zu unserem Weg. Wir werden alles tun, um bei den laufenden
Verhandlungen diese Maßstäbe aufrechtzuerhalten.
Erlaubt mir an dieser Stelle eine Bemerkung, liebe Genossinnen und
Genossen: Wenn man sieht, was Ulla Schmidt in den vergangenen Jahren
und aktuell für das Gesundheitswesen leistet, kann man nur
kopfschüttelnd hinnehmen, wie sie sich hat anfeinden lassen müssen.
Ich will Ulla Schmidt sehr, sehr herzlich danken. Ulla, du hast einen
hervorragenden Job gemacht. Wir brauchen dich und danken dir! Ich bin
sicher: In Deutschland wird das noch Anerkennung finden.
Zur Demografie will ich nur anmerken: Das ist eines der Felder, auf
denen wir die Idee vom vorsorgenden Sozialstaat, die Matthias Platzeck
in die Diskussion gebracht hat, in besonders exemplarischer Weise
erkennen und anwenden können. Es geht darum, schon jetzt damit zu
beginnen, zum Beispiel durch Bauleitplanungen , die eine soziale Stadt
und eine Bürgergesellschaft, die füreinander da ist, fördern. Wir
müssen jetzt die Weichen stellen, um dafür zu sorgen dass morgen,
ältere Menschen integriert in dieser Gesellschaft leben können und
ihre Kreativität in unsere Gemeinschaft einbringen können. Dafür
müssen wir heute die Weichen stellen. Deshalb ist der Gedanke der
vorsorgenden sozialen Verantwortung alles andere als eine Theorie. Es
ist eine konkrete, praktische Herausforderung.
Dass wir im Bereich der Migration und der Integration der Menschen,
die hier leben, viel zu tun haben und uns sehr anstrengen müssen, das
ist wohl wahr - aber nicht im Sinne von Ideologien wie einer
Multikulti- oder umgekehrt einer Abgrenzungsgesellschaft. Das ist
nicht unser Weg. Unser Weg ist es, diesen Menschen mit Respekt vor
anderen Erfahrungen, anderen Kulturen, anderen Religionen zu begegnen.
Aber wir erwarten auch, dass allen Menschen mit den gleichen Maßstäben
begegnet wird. Dann sind wir auf einem guten Weg. Dass dazu gehört,
unsere Sprache zu lernen, dass dazu gehört, sich mit unserer Kultur
und unseren Erfahrungen auseinander zu setzen, das ist wohl wahr. Aber
lasst uns bei einem klaren Nein bleiben zu dümmlichen Tests und
Gesinnungsschnüffeleien. Das ist nicht unser Weg, liebe Genossinnen
und Genossen.
Die Menschen haben einen Anspruch darauf und sie haben das große
Bedürfnis danach in Sicherheit zu leben. Wir wollen innere und äußere
Sicherheit in Deutschland mit allen Möglichkeiten, die uns zur
Verfügung stehen, gewährleisten. Wir wollen aber auch, dass die innere
Freiheit und die Liberalität in unserer Gesellschaft dabei nicht
schrittweise kaputt gemacht wird. Das wäre ein Erfolg, den wir
denjenigen, die unsere Freiheit bedrohen, nicht gönnen sollten, liebe
Genossinnen und Genossen.
Ich danke allen, die bei uns für die äußere Sicherheit einstehen -
also den Politikerinnen und Politikern, aber auch denen , die in der
Diplomatie tätig sind. Meine Anerkennung und mein Respekt gilt aber
vor allem aber auch denjenigen, die in unserer Bundeswehr ihre Aufgabe
wahrnehmen. Ich zolle den Soldatinnen und Soldaten Anerkennung. Ich
sagen denen, die jetzt im Auslandseinsatz sind, dass wir uns alle
wünschen, dass sie gesund wieder heimkommen.
Genossinnen und Genossen, genauso deutlich warne ich davor, dass die
gute Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Sicherheit, die unser
Grundgesetz kennt, durch eher verunsichernde und mehr verunklarende,
denn Klarheit schaffende Diskussionen in Misskredit gebracht wird. Wir
haben eine gute Ordnung in Deutschland, liebe Genossinnen und
Genossen.
Dass wir immer dafür waren, Verantwortung auch in der Dritten Welt zu
übernehmen, Verantwortung für das, was wir Eine Welt nennen, muss so
bleiben. Wir sind da auf dem richtigen Weg; daran kann es überhaupt
keinen Zweifel geben. Wir wollen unsere Anstrengungen verstärken und
nicht abschwächen.
Lasst mich auch noch einmal in Erinnerung rufen, dass es eine
sozialdemokratische Regierung unter Gerhard Schröder gewesen ist, die,
der Irak-Konflikt zum Krieg eskalierte, für ganz klare Maßstäbe
gesorgt hat. Sie ist nicht einfach in einer Koalition der Willigen
hinterher marschiert , sondern sie hat, deutlich gemacht, dass ohne
internationalen Auftrag, ohne die Maßgaben, die unsere Verfassung uns
gebietet, ein solcher Einsatz für Deutschland nicht infrage kommt. Das
sind Maßstäbe, die bleiben werden, liebe Genossinnen und Genossen.
Sie gelten auch hinsichtlich der Herausforderung vor die uns die
Entwicklung im Iran stellt. Zunächst: Was der dortige Präsident
gegenüber Israel von sich gibt, ist zutiefst verabscheuenswürdig.
Wir akzeptieren nicht, dass dort unter dem Deckmantel der Nutzung der
Kernenergie für friedliche Zwecke, atomwaffenfähiges Material
hergestellt wird. Aber, liebe Genossinnen und Genossen, lasst uns
genauso klar sagen: Wir setzen auf eine diplomatische Lösung, wir
setzen keinesfalls auf eine militärische Option.
Was in diesem Zusammenhang Frank-Walter Steinmeier geleistet hat und
was er noch leisten wird, verdient unsere höchste Anerkennung und
unseren Respekt.
Liebe Genossinnen und Genossen, ich bin heilfroh, dass Frank-Walter
Steinmeier in dieser Situation der Außenminister der Bundesrepublik
Deutschland ist.
Eine der entscheidenden Zukunftsfragen in Deutschland wird sein, wie
wir mit Familien umgehen, wie kinderfreundlich wir sind, wie wir die
Erziehungsfragen zur Unterstützung der Eltern verbessert regeln, wie
wir Bildung und Ausbildung organisieren, sei es im dualen oder sei es
im Hochschulbereich.
Liebe Genossinnen und Genossen, es geht uns darum, diese Gesellschaft
familienfreundlicher zu machen. In den Reden von Matthias Platzeck und
von Klaus Wowereit ist dies schon deutlich geworden. Wir haben zu
Beginn dieses Jahres bei der Tagung in Mainz Weichen gestellt. Es sind
richtige Weichen. Wir sind nicht diejenigen, die Eltern in ihrer
Erziehungsfreiheit einschränken wollen - ganz gewiss nicht. Wir sind
auch nicht diejenigen, die Menschen hineinreden wollen, sich für ein
Kind zu entscheiden. Das geht den Staat überhaupt nichts an. Aber wir
wollen denen helfen, die sich für ein Kind entscheiden, dass sie diese
Entscheidung hinterher nicht damit bezahlen, dass sie in der
Gesellschaft in ihren Chancen, in ihren Möglichkeiten zurückgesetzt
werden. Das darf nicht sein.
Dass mit dieser Frage - natürlich nicht nur mit dieser Frage - auch
die Gleichberechtigung von Frauen und Männern angesprochen ist, haben
wir Männer zwischenzeitlich auch begriffen. Deshalb sollten wir ganz
besonders intensiv uns um dieses Arbeitsfeld bemühen. Wir haben eine
Menge gut zu machen, wie ich gerne einräume.
Liebe Genossinnen und Genossen, dass es in Zukunft in Deutschland ein
vernünftiges Elterngeld gibt, ist sozialdemokratische Programmatik.
Lasst uns darauf stolz sein! Wir haben gegen massiven Druck aus der
Union dafür gesorgt, dass die unteren Einkommen nicht abgehängt
werden. Wir haben auch dafür gesorgt, dass die Alleinerziehenden nicht
schlechter gestellt werden als Paare. Wir haben für die
partnerschaftliche Regelung gerungen und sie durchgesetzt, liebe
Genossinnen und Genossen.
Dabei kommt es darauf an, dass wir das nicht singulär stehen lassen,
sondern dass wir im Bereich der Betreuung von Kindern mehr Angebote im
kommunalen Bereich als bisher machen, dass wir die Kindergärten für
die ab Zweijährigen öffnen, dass wir die Elternbeiträge schrittweise
auf Null setzen.
Es kommt auch darauf an, dass wir die pädagogischen Angebote in den
Kindergärten ausweiten. Wir wollen aber auch dafür sorgen, dass Kinder
in den Kindergärten noch Kinder sein können: sie sollen noch
unbeschwert spielen und heranreifen können.
Das ist vor dem Hintergrund der Finanzsituation mühsam. Wir werden in
Rheinland-Pfalz noch in diesem Jahr beweisen, dass all das, was ich
gefordert habe, nicht nur eine Forderung ist, sondern in ein Gesetz
gegossen wird, das auch umgesetzt werden kann. Wir schaffen es, wenn
wir die Schwerpunkte entsprechend setzen.
Lasst mich auch ein Wort zur Bildungsdiskussion sagen. Ich finde es
bedrückend - ja beschämend -, dass wir sechs Jahrzehnte, nachdem in
Deutschland nach der Nazidiktatur ein demokratischer Neuanfang gemacht
worden ist , uns die PISA-Studie und andere Untersuchungen zeigen,
dass die schichtenspezifische Durchlässigkeit unseres Bildungssystems
eher rückläufig, denn besser geworden ist. Das dürfen wir als
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht hinnehmen.
Wir setzen deshalb darauf, dass Kinder in der vorschulischen
Erziehung, aber auch in den Schulen mehr gefördert werden.. Ich will
das Beispiel von Ganztagsschulangeboten nennen. Warum soll ein Kind,
das in einer Familie aufwächst, in der man nicht französisch gelernt
hat, das aber sprachbegabt ist, deshalb im Nachteil sein, nur weil die
Eltern nicht in der Lage sind, bei den Französischhausaufgaben zu
helfen? Die Schule muss das leisten, damit sich alle Kinder
entsprechend ihrer Begabungen entwickeln können.
Liebe Genossinnen und Genossen, wenn die Kinder aus der Schule kommen,
dann muss auch sichergestellt sein, dass sie eine Chance haben, einen
Ausbildungsplatz im dualen System zu finden. Es wird in diesem
Frühsommer einen Ausbildungsgipfel auf Bundesebene geben. Ich sage
noch einmal: Es ist nicht akzeptabel, dass Ausbildungsplätze fehlen.
Es ist nicht akzeptabel, dass es nicht genug ausgebildete Fachkräfte
gibt. Wer heute nicht ausbildet, wird morgen keine Fachkräfte haben.
Wir wissen, dass wir vieles tun müssen - auch in den Schulen, auch um
die Schulausbildung so voranzubringen, dass die Kinder nicht nur ihre
kognitiven Leistungen entfalten, sondern dass sie auch mit dem, was
man in unserer Partei einmal Sekundärtugenden genannt hat, aufs Leben
vorbereitet sind und dann in einem Betrieb auch bestehen können. Das
alles gehört zusammen. Wir alle haben Verantwortung. Ich will sie
nicht einseitig verschieben. Wer seinen Teil Verantwortung im dualen
System übernommen hat, muss auch jeweils seinen Teil erfüllen. Das
fordern wir ein, und ich denke, mehr als zu Recht.
Liebe Genossinnen und Genossen, ich habe zur Bedeutung der Hochschulen
und der Forschung schon ein Wort gesagt. Eines will ich hinzufügen,
weil es mit Chancengerechtigkeit zu tun hat: Es darf nicht wieder so
werden, dass sich Eltern, die zwei oder drei Kinder und kein hohes
Einkommen haben, überlegen müssen, ob ihre Kinder studieren können, ob
man sich die Darlehen, die sich da aufhäufen würden, leisten kann.
|