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10.07.2006

Leitlinien zur Integrationspolitik   

Das Präsidium der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat in seiner heutigen Telefonschaltkonferenz folgende Leitlinien zur Integrationspolitik beschlossen:

  

Faire Chancen, klare Regeln

"Ohne Angst und Träumereien - gemeinsam in Deutschland leben"

(Johannes Rau, Berliner Rede 2000)

 

 I. Einleitung

  

Die SPD steht für eine verantwortungsvolle und moderne Ausländer- und    Zuwanderungspolitik in Deutschland. Mit der Übernahme der Regierungsverantwortung haben wir seit 1998 für einen Paradigmenwechsel gesorgt, durch den die Integration von Menschen die dauerhaft zu uns kommen in den Mittelpunkt der Zuwanderungspolitik gerückt wurde. Wir wissen, Integrationspolitik ist eine Querschnittsaufgabe und ihr Gelingen vor allem die Beantwortung sozialer Fragen. Sie ist eine der herausragenden Aufgaben, der sich eine Gesellschaft dauerhaft stellen muss.

 

Tatsache ist: Die gelungene Integration von Einwanderinnen und Einwanderern ist eine millionenfache Realität. Die wirklichen Erfolge eines guten Zusammenlebens spielen sich zumeist außerhalb der Schlagzeilen ab. Deshalb ist es geboten, an die vielen guten Beispiele für Integration zu erinnern und die großen Anstrengungen zu würdigen, die Einwanderer erbringen, um aktiv am sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Leben in Deutschland teilzunehmen.

 

Anzuerkennen ist das erfolgreiche Engagement von Kommunen, vieler Kindergärten und Schulen, Universitäten, Arbeitgeber und Gewerkschaften sowie einer Vielzahl von ehrenamtlichen Initiativen auf  dem anspruchsvollen Weg der Integration. Wo das Zusammenleben gelingt, gibt es ein gemeinsames Verständnis der Grundwerte und der Regeln, die in Deutschland gelten, der Erwerb deutscher Sprachkenntnisse befähigt zur Verständigung im Alltag, eine gute Bildung erhöht die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und der Arbeitsplatz sichert das Einkommen.

 

Wir verschließen nicht die Augen vor Problemen und Konflikten. Verständigungsprobleme in Schulen oder Bürgerämtern, Pöbeleien in öffentlichen Verkehrsmitteln, Gewalt und Einschüchterung an Schulen mit einem hohen Ausländeranteil, religiöser Fanatismus extremistischer Organisationen, aber ebenso die fremdenfeindlichen Übergriffe deutscher Gewalttäter verstehen wir als Warnzeichen. Wo Integration misslingt, fehlt es an der Achtung demokratischer Grundwerte, an Sprachkenntnissen, an Bildung und an Chancen auf dem Arbeitsmarkt. In diesen Fällen findet oft eine mehrfache Ausgrenzung und Selbstausgrenzung statt. Mangelhafte Deutschkenntnisse, schlechte Schulleistungen, fehlende Schulabschlüsse und Arbeitslosigkeit gehen einher mit gesteigertem Aggressionspotenzial und mit einem Rückzug in   ethnisch geschlossene Lebenswelten. In manchen Städten und Regionen mit hoher Arbeitslosenquote und sozialen Problemen verschärfen sich die Konflikte bei der Integration.

 

 Zur offenen Auseinandersetzung mit diesen Problemen gehört, jahrzehntelange politische Versäumnisse anzuerkennen. Konservative haben zu lange geleugnet, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. In Westdeutschland wurde mit dem falschen Begriff des "Gastarbeiters"  zunächst die trügerische Vorstellung geweckt und genährt, es handele sich dabei um Menschen, die nach kurzer Zeit in ihr Herkunftsland zurückkehren würden. Einbürgerung war kein Ziel.   Ostdeutschland spürt bis heute die Folgen der Abschottungspolitik des SED-Staates.

 

Einwanderung war im Staatssozialismus der DDR nicht vorgesehen, ausländische Arbeitskräfte (z.B. aus Vietnam, Kuba, Mocambique) lebten überwiegend von der Bevölkerung abgeschottet,  Aussicht auf einen Verbleib im Land gab es kaum.

 

All dies trägt dazu bei, dass wir heute auch zum Teil die Integration schon lange in Deutschland lebender Einwanderer nachholen müssen. Zudem ist spätestens seit dem letzten großen Zuzug von Spätaussiedlern deutlich geworden, dass sich auch deren Integration nicht von allein    vollzieht.

 

Einwanderung und Integration sind große Herausforderungen, denen wir uns ohne Selbstbetrug, aber auch ohne Träumerei zu stellen haben. Die Vorstellung, es gebe eine einheitliche, homogene Gesellschaft ist eine Illusion. Einwanderung ist eine Verabredung zwischen denen, die kommen, und den Bürgerinnen und Bürgern, die im Einwanderungsland    leben. Diese entscheiden letztlich über die Voraussetzungen und das Maß der Zuwanderung. Bei dieser Verabredung geht es um beiderseitige Rechte und Pflichten. Wir wollen, dass Menschen zu uns kommen, weil sie auch unser Land bereichern. Unsere Politik folgt dabei grundsätzlich dem Leitbild einer weltoffenen und toleranten Gemeinschaft. Wir wollen, dass diese Menschen faire Chancen für ein erfolgreiches Leben in Deutschland bekommen und klare Regeln   vorfinden. Wir erwarten im Gegenzug von ihnen, dass sie sich an die Regeln unserer Rechts- und Verfassungsordnung halten und eigene Anstrengungen zur Integration erbringen.

 

Wir haben keinen Zweifel, dass Deutschland auf Einwanderung angewiesen ist und war. Die demografische Entwicklung und der zum Teil heute schon spürbare, ab dem Jahr 2010 dann gravierende Mangel an Fachkräften, die Sicherung der Dynamik und des Wachstums unserer    Wirtschaft und die Finanzierung unserer Systeme der sozialen Sicherung sind Gründe, warum wir eine gezielte und gesteuerte Einwanderung wollen. In einem Zeitalter, in dem der internationale Handel von Waren und Gütern zur absoluten Selbstverständlichkeit geworden ist, wollen und können wir uns nicht gegenüber Menschen unterschiedlicher nationaler und kultureller Herkunft abschotten. Die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung hat daher das Staatsangehörigkeitsrecht modernisiert und mit dem am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen    Zuwanderungsgesetz eine aktive Politik der Integration erstmals gesetzlich verankert.

 

Niemand, der zu uns kommt, muss seine Herkunft leugnen. Kulturelle Vielfalt ist eine positive Erfahrung, wenn sie auf einem unmissverständlichen, festen und dauerhaften Bekenntnis zu den demokratischen und humanistischen Grundwerten fußt. Freiheit und Toleranz sind nicht relativierbar. Unsere Vorstellung einer gelungenen Integration geht davon aus, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft und verschiedener religiöser Überzeugungen gut zusammen leben können.

 

Integration bezieht sich nicht nur auf die Menschen, die neu zu uns kommen, sondern auch auf diejenigen, die bereits in unserem Land leben.

 

II. Die soziale Lage: Fehlende Chancen als ein wesentliches Integrationshindernis

  

Viele Millionen Menschen sind in den vergangenen 40 Jahren nach Deutschland gekommen. Rund 7,3 Millionen Menschen mit ausländischem Pass leben heute in Deutschland - und das im Durchschnitt schon seit 16,8 Jahren. Über ein Drittel der Menschen lebt seit 20 Jahren und    mehr bei uns, zwei Drittel sind seit mindestens 8 Jahren in Deutschland und haben damit eigentlich die nötige Aufenthaltsdauer für eine Einbürgerung erreicht. Heute haben bereits 10 % der deutschen Bevölkerung einen Migrationshintergrund, in der Altersgruppe bis 25 Jahre sogar jeder Dritte. Hinzukommen rund 1,8 Millionen nicht eingebürgerte Spätaussiedler, die nach dem 1. August 1999 nach Deutschland zugewandert sind.

 

Inzwischen gehören Menschen anderer Herkunft und Kultur, ob in der Nachbarschaft, in der Schulklasse, am Arbeitsplatz oder in der eigenen Familie, ganz selbstverständlich zu unserem Leben. Somit ist die Diskussion darüber, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist, überholt   und überflüssig: Einwanderung ist Lebensrealität!

 

Von den Kindern und Jugendlichen im bildungsrelevanten Alter (bis 25 Jahre) weisen mehr als ein Viertel (27%) einen Migrationshintergrund auf. Gut ein Drittel davon zählt zur ersten Zuwanderungsgeneration und ist somit Quereinsteiger ins deutsche Bildungssystem. Für Städte wie z.B. Berlin gibt es Prognosen, nach denen in 20 Jahren jeder zweite Schüler aus einer Migrantenfamilie stammen wird.

 

Gerade Teile dieser jungen Einwanderergeneration fühlen sich häufig nicht angenommen durch unsere Gesellschaft. Obwohl sie in Deutschland geboren wurden und ihre Familien in zweiter oder bereits dritter Generation in Deutschland leben, sind sie hin- und her gerissen zwischen den Kulturen. Ein beachtlicher - und womöglich wachsender Teil dieser Kinder und Jugendlicher ist in doppelter Hinsicht ausgegrenzt. Ihnen fehlen Chancen und Orientierung, sich an die Regeln, Normen und Werte unserer Gesellschaft zu halten.

 

Die drohende oder bereits erfolgte Entkopplung eines Teils der jungen Generation von den Chancen und Werten der Gesellschaft ist kein rein deutsches Phänomen. Es nimmt in anderen hoch entwickelten Ländern deutlich dramatischere Ausmaße an. In Frankreich und den USA haben in den letzten Jahren gewalttätige Auseinandersetzungen stattgefunden, die aufzeigen, was passieren kann, wenn eine Gesellschaft zu lange die Augen vor diesem Problem verschließt.

 

Ein Teil der jungen Generation in unserem Land - Deutsche und Einwanderer- ringt um Anerkennung. Eine wichtige Basis dieser Anerkennung sind Chancen auf Bildung, Arbeit und sozialen Aufstieg. Diese bleiben ihnen jedoch häufig verwehrt. Das zeigt sich mit einem  schlaglichtartigen Blick auf die Faktenlage in unserem Land.

  

Einwanderer sind überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen. Ihre Arbeitslosenquote (25,5 %) ist mehr als doppelt so hoch, wie die der Gesamtbevölkerung (11,7 %) - Tendenz weiter steigend. Allerdings muss hinsichtlich der Integration in den Arbeitsmarkt differenziert werden: Während die Beschäftigtenquote von allen Ausländern mit 25% deutlich unter der der deutschen Bevölkerung (33 %) liegt, befindet sie sich bei den nicht-deutschen EU-Bürgern mit 31 % fast auf Höhe der deutschen Bevölkerung. Das Armutsrisiko für  Einwanderer erhöhte sich auf fast 25 % und liegt damit ebenfalls weit über dem Risiko der Gesamtbevölkerung (13,5 %). Bezeichnend ist die Tatsache, dass rund 20% der minderjährigen Sozialhilfeempfänger ausländische Kinder sind.

 

Einwanderer haben die schlechteren Bildungschancen. Die Ursachen der chwierigen soziale Lage von vielen Einwanderern lässt sich auf eine kurze Formel herunterbrechen: unzureichende Deutschkenntnisse, ungenügende Bildung und mangelnde oder keine Ausbildung. Dabei haben    die Kinder aus Einwanderfamilien eine genauso hohe Motivation, in der Schule gut abzuschneiden, wie ihre deutschen Mitschüler. Bereits die erste PISA-Studie (2000) hat darauf hingewiesen, dass in keinem anderen europäischen Land der Bildungserfolg so sehr von der sozialen und ethnischen Herkunft abhängt wie in Deutschland. So ergibt sich für   Einwandererkinder eine andere Verteilung auf die verschiedenen Schulformen als für Kinder ohne Migrationshintergrund: 40,8 % der ausländischen Kinder gehen auf die Hauptschule (Deutsche 16,3 %). Auf die Realschule gehen noch 17,4 % der ausländischen Schüler (Deutsche   21,1 %). Und lediglich 18,9 % der ausländischen Schüler besuchen das Gymnasium (Deutsche 8,7%). Hinzu kommt, dass 18,1 % aller ausländischen Jugendlichen gar keinen Schulabschluss machen (Deutsche 7,4 %).

 

Ausländische Jugendliche haben schlechtere Chancen beim Einstieg in den Arbeitsmarkt. Die Beteiligung von Jugendlichen mit ausländischem Pass an beruflicher Ausbildung ist seit Mitte der 90er Jahre stark rückläufig. Lag die Ausbildungsquote im Jahr 1994 noch bei 44 % (Deutsche 67 %) so sank sie auf bedenkliche 25 % im Jahr 2004 (Deutsche 61%). Damit sank der Anteil der ausländischen Jugendlichen an der Gesamtheit der Auszubildenden im dualen System von 9,4% auf 5,6 %. Es zeigt sich immer mehr, dass jugendliche Migranten die Leid tragenden eines Verdrängungswettbewerbs auf dem Ausbildungsmarkt sind.

 

Ein Teil der Einwanderer konzentriert sich in bestimmten Stadtteilen. In vielen Quartieren löst die Abwanderung der bisherigen Einwohner den Nachzug von sozial schwächeren Schichten einschließlich vieler Migranten aus - eine Entwicklung, die dann fatale Folgen haben kann,    wenn sich Bewohner mit hohem Integrationsbedarf, geringerem Einkommen, geringerer Bildung und geringeren Lebenschancen auf engem Raum konzentrieren. Vor allem strukturschwachen Städten droht damit ein Teufelskreis, weil sich die Abwanderung durch hohe Einwohnerverluste  weiter beschleunigt. Hier entstehen überforderte Nachbarschaften bis hin zu sozialen Brennpunkten. Aus regionalen Konzentrationen von sozialen Problemen und hoher Dichte an Einwanderern können soziale Konflikte entstehen.

 

Hinzu kommt, dass jene Einwanderinnen und Einwanderer, die sich gut integriert und ihre Chance auf sozialen Aufstieg ergriffen haben, die Problemquartiere in der Regel bald verlassen. Damit fehlen hier die guten Vorbilder für gelungene Integration als Orientierung und Motivation für andere oftmals gänzlich.

 

Die viel zitierte "Ausländerkriminalität" ist weder Anlass zur Dramatisierung noch zur Entwarnung. Im Jahr 2005 besaßen 22,5 Prozent (2004: 22,9 Prozent) der von der Polizei ermittelten Tatverdächtigen nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Dabei ging die Anzahl der deutschen Tatverdächtigen um 2,4 %, die der ausländischen Tatverdächtigen um 5,0 Prozent zurück. Damit setzt sich der seit 1993 anhaltende Trend fort, der den Rückgang des Anteils an ausländischen Tatverdächtigen insgesamt erkennen lässt. Allerdings sind Deutsche und  Nichtdeutsche hier nur schwer vergleichbar. Denn die sich in Deutschland aufhaltenden Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit sind im Vergleich zu den Deutschen überproportional häufig männlichen Geschlechts, unter 30 Jahre alt und Großstadtbewohner und besitzen somit häufiger Eigenschaften bzw. leben in Situationen, die auch bei Deutschen zu einem höheren Kriminalitätsrisiko führen. Hinzu kommt ein beachtlicher Anteil ausländerspezifischer Delikte, die von Deutschen in der Regel nicht begangen werden kann (Verstöße gegen das Aufenthalts-, Asylverfahrens- und Freizügigkeitsgesetz).

 

III. Gelingende Integration durch faire Chancen und klare Regeln

  

Wir wollen Integration und nicht Assimilation oder Segregation. Als politische Aufgabe zielt Integration darauf ab, Zuwanderern eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unter Respektierung kultureller Vielfalt zu ermöglichen. Dabei ist klar: Integration ist ein Prozess, zu dessen Gelingen die Aufnahmegesellschaft wie die Einwanderer wechselseitig beitragen müssen. Beide Teile sind nicht wegzudenkende Bestandteile eines Ganzen. Nicht der Staat integriert Einwanderer in   unsere Gesellschaft - quasi durch Verwaltungsakt - sondern Integration ist eine zivilgesellschaftliche Leistung zwischen Nachbarn, Mitschülern und Kollegen. Es ist Aufgabe von Politik und Staat, hierfür den Rahmen zu schaffen, Regeln zu definieren und über ihre    Einhaltung zu wachen. Tatsächlich handeln müssen die Akteure - auch die Migranten - selbst.

 

Bindung aller an gemeinsame Werte. Wer dauerhaft in Deutschland leben will, braucht seine Herkunft nicht zu verleugnen. Er muss aber bereit sein, eine offene Gesellschaft nach dem Leitbild des Grundgesetzes mitzugestalten. Seit 1949 ist dieser gesellschaftliche Wertekanon in   Kraft und hat bis heute nichts an Aktualität und Orientierungskraft verloren. Das Grundgesetz bietet genügend Raum für kulturelle Vielfalt, es sichert Freiheit des Glaubens, die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau und die Rechte von Minderheiten. Es setzt aber    auch klare Grenzen, die niemand unter Hinweis auf seine Herkunft oder seine religiöse Überzeugung außer Kraft setzen darf. Der Respekt und die Akzeptanz unserer Grundwerte darf kein Lippenbekenntnis sein, sondern muss sich im tatsächlichen Handeln aller zeigen.

 

Daher tolerieren wir keine Fremdenfeindlichkeit, keinen Antisemitismus und keinen Rechtsradikalismus und werden auch in Zukunft alles zu deren Bekämpfung Nötige unternehmen.

 

Das Gewaltmonopol geht einzig und allein vom Staat aus. Wir dulden keine Form von Selbstjustiz. So genannte "Ehrenmorde" sind Morde und sie müssen als solche behandelt und bestraft werden.

 

Für uns basiert die Ehe auf der selbst bestimmten und eigenverantwortlichen Freiheit der die Ehe bildenden Personen. Deshalb tolerieren wir keine Zwangsverheiratungen. Zu ihrer wirkungsvolleren Bekämpfung setzen wir uns für die Schaffung eines eigenen Straftatbestands ein.

 

Wir nehmen unsere humanitäre Verantwortung ernst. Langjährig in Deutschland geduldete Menschen müssen endlich einen gesicherten Aufenthaltsstatus erhalten. Die ausländerrechtliche Fehlentwicklung der so genannten Kettenduldungen wollen wir beenden und durch eine    Altfallregelung für langjährig Geduldete korrigieren. Zudem wollen wir, dass künftig alle juristischen Fragen des Aufenthalts in einem einzigen Verfahren geregelt werden, das längstens   auf ein Jahr begrenzt ist. Ein positives Aufenthaltsverfahren soll künftig eine Arbeitserlaubnis    nach sich ziehen.

 

Angestrebter Erfolg unserer Integrationspolitik ist die Einbürgerung. Wir wissen aber: sie ist nicht das Ende der Integration, sondern eine wichtige Etappe, die die umfassende politische Teilhabe ermöglicht.

 

Die Ausübung der (neuen) Staatsbürgerrechte und die Beteiligung der Einwanderinnen und Einwanderer am politischen und gesellschaftlichen Prozess liegen in unserem vordringlichen Interesse.

 

Wir wollen eine bessere politische Partizipation von Einwanderinnen und Einwanderern. Deshalb plädieren wir für ein kommunales Wahlrecht auch für Nicht-EU-Ausländerinnen und -Ausländer.

 

Wir wollen einen intensiveren Dialog mit den Religionen und den Kulturen - insbesondere mit dem Islam. Hierzu ist allerdings eine verbesserte Ansprechbarkeit der Vertreter des Islams in Deutschland dringend erforderlich.

 

Wir lehnen jeglichen religiös motivierten Extremismus ab. Der Staat muss hiergegen eine klare ablehnende Haltung einnehmen, wie auch gegenüber religiösen Ausprägungen, die zu einer Abschottung und zum Rückzug aus der Gesellschaft führen.

 

Spracherwerb als Eintrittskarte in das gesellschaftliche, wirtschaftliche, kulturelle und politische Leben in Deutschland. Deutsche Sprachkenntnisse sind das A und O für eine erfolgreiche    Integration. Sie sind unverzichtbare Voraussetzungen dafür, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft in Kontakt treten und einander verstehen können. Für einen Schulabschluss und eine Ausbildung sind sie zwingend. Ohne einen Schulabschluss bekommt man keinen   Ausbildungsplatz und ohne abgeschlossene Ausbildung sinken die Chancen auf eine dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt dramatisch. Das Erlernen unserer Sprache fordern wir konsequent von allen ein, die dauerhaft zu uns kommen und gekommen sind.

 

Im Gegenzug werden wir alles dafür tun, dass ein ausreichendes und wirkungsvolles Sprach- und Integrationskursangebot zur Verfügung steht, das den Bedürfnissen der Menschen wirklich gerecht wird, damit sie in die Lage versetzt werden, die vielfältigen Chancen und Möglichkeiten unserer Gesellschaft zu erkennen und zu ergreifen. Es muss zur Selbstverständlichkeit in Deutschland werden, dass jedes Kind, das in die Schule kommt, Deutsch kann. Jene wenige, die sich verweigern, unsere Sprache zu lernen, werden mit Sanktionen rechnen müssen.

 

Der Erwerb von Sprachkompetenzen muss bereits im Kindergarten (spätestens ab dem 3. Lebensjahr) das oberste Bildungsziel sein. Um Deutsch als Fremdsprache besser erlernen zu können, muss auch die konsequente Förderung der Muttersprache berücksichtigt werden.    Durch Verbesserung der Ausbildung müssen Erzieherinnen und Erzieher besser in die Lage versetzt werden, Sprachdefizite früh zu erkennen und adäquat zu reagieren. Zudem bedarf es mehr Erzieherinnen und Erzieher mit Migrationshintergrund.

 

Um bei der frühen Sprachvermittlung möglichst viele Kinder zu erreichen, wollen wir, dass alle Kinder in den Kindergarten gehen; hierzu gehört auch die schrittweise Einführung der Gebührenfreiheit. An die Eltern appellieren wir, ihre Kinder möglichst frühzeitig in    Kindergärten zu bringen und dadurch den Erwerb der deutschen Sprache zu unterstützen. Kinder, bei denen vor der Einschulung Sprachdefizite diagnostiziert werden, sollen vor der Einschulung einen Intensiv-Deutschkurs absolvieren und auch während der Grundschulzeit sollen durchgängig    Sprachstandserhebungen erfolgen.

 

Wir wissen, dass die im Elternhaus gesprochene Sprache die Leistungen der Schüler deutlich beeinflusst (PISA 2003). Deshalb wollen wir, dass Eltern auch durch enge Kooperation mit den Kindergärten und Schulen die Möglichkeit erhalten, Integrationskurse zu besuchen. Nach den   erfolgreichen Kurs-Konzepten speziell für Mütter ("Mama lernt Deutsch" etc.) müssen auch für Väter entsprechende Angebote folgen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sollte daher zügig die noch ausstehende Kurskonzeption für den zielgruppen-spezifischen Frauen-/Elternintegrationskurs vorlegen.

 

Seit dem 01.01.2005 hat jeder Neuzuwanderer den Anspruch, aber auch die Pflicht zur Teilnahme an Integrationskursen. 2005 wurden über 216.000 Berechtigungen für Migranten ausgestellt. 103.000 Ausländer haben sich in Eigeninitiative eine solche Berechtigung ausstellen   lassen. Die überaus hohe Motivation, mit der die Angebote wahrgenommen werden, hat alle Erwartungen übertroffen. Die bisherige Evaluation des Zuwanderungsgesetzes hat aber auch Verbesserungsbedarf aufgezeigt: Das betrifft die Qualität und Finanzausstattung der Kurse und die Verringerung des zeitlichen Abstands zwischen Einreise und tatsächlicher Kursteilnahme. Dazu gehört auch, die gesetzlichen Voraussetzungen für Ausländer und Spätaussiedler aneinander    anzupassen. Außerdem müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Teilnahmebereitschaft der Migranten an den Integrationskursen zu erhöhen. Zuwanderer, die sich Integrationsmaßnahmen verweigern, haben mit Sanktionen zu rechnen. Die bestehenden Möglichkeiten sollten besser aufeinander abgestimmt werden.

 

IV. Eine gute Bildung ist die Voraussetzung für gelingende Integration

  

 Die uneingeschränkte Teilnahme am Schulunterricht ist Pflicht. Das beinhaltet selbstverständlich die Beteiligung von Jungen und Mädchen zum Beispiel auch am Sport- und Biologieunterricht.   Wir wollen den weiteren Ausbau von Ganztagsschulprogrammen und dass Kinder länger zusammen und voneinander lernen. Neben der intensiveren Stoffvermittlung besteht hier mehr Raum, auch zur Vermittlung von interkultureller Kompetenz. Für die Schulkinder mit muslimischem Glauben wollen wir ein angemessenes und ausreichendes Angebot an Islamkundeunterricht unter Aufsicht der Schulaufsichtbehörden in deutscher Sprache. Dazu setzen wir uns ein für eine vermehrte Ausbildung von entsprechendem Lehrpersonal an deutschen Hochschulen.

 

Alle Verbesserungen in unseren Schulen und Hochschulen dürfen aber nicht übersehen lassen, dass die frühe Aufteilung der Kinder auf unterschiedlich anspruchsvolle Bildungswege das Ziel einer Verminderung der sozialen und ethnischen Vorbestimmtheit von Bildungswegen erschwert. Über Bildungswege und Bildungschancen wird in unserem Bildungssystem zu früh entschieden. Wir wollen daher weiter für ein Schulsystem werben, in dem Kinder länger zusammen und    voneinander lernen; Schulen, in denen jedes einzelne Kind seinen Fähigkeiten angemessen gefördert werden kann. In einem solchen Schulsystem sehen wir auch eine Chance dafür, bei den in den kommenden Jahren sinkenden Schülerzahlen das gesamte Spektrum denkbarer    Bildungsabschlüsse überall erreichbar zu halten.

 

Lehrer und Erzieher haben eine wichtige Aufgabe bei der nachhaltigen Vermittlung unserer gesellschaftlichen Werte. Wir erkennen diese bedeutende Leistung ausdrücklich an. Schulen brauchen mehr Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund. Um auf die besondere Situation von Mirgantenkindern adäquat eingehen zu können, wollen wir, dass künftig bereits in der Lehrer-Ausbildung entsprechende pädagogische Konzepte intensiv vermittelt werden. In ihrem äußeren Erscheinungsbild haben Lehrerinnen und Lehrer religiöse und weltanschauliche Neutralität zu wahren.

 

Von den Eltern wird erwartet, dass sie den Bildungserfolg ihrer Kinder im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen.

 

Die Berufsberatung für Schülerinnen und Schüler muss früher und besser als bisher erfolgen, um ihnen zu einem guten Übergang von der Schule in den Beruf zu verhelfen. Wir unterstützen Programme und Schulen, die bereits in den laufenden Schulbetrieb (8. Klasse) Kontakte mit    Unternehmen herstellen und Praktika ermöglichen. Wir freuen uns darüber, dass es immer mehr Selbstständige mit Migrationshintergrund in Deutschland gibt. Wir erwarten aber, dass sie sich stärker als bisher an der Ausbildung junger Menschen beteiligen. Zudem brauchen wir auch für junge Menschen unter 25 ein vermehrtes Angebot an niedrigschwelligen Berufseinstiegsangeboten.

 

V. Maßnahmekarrieren müssen verhindert werden.

 

Die von Einwanderinnen und Einwanderern mitgebrachten Berufsausbildungen und -qualifikationen müssen besser anerkannt werden.

 

Integration braucht verlässliche Integrationspartner und ein gutes und stabiles Integrationsklima. Integration als Querschnittsaufgabe der Gesellschaft erfordert ein Zusammenwirken aller gesellschaftlichen Akteure. Wir wollen mit verlässlichen Integrationspartnern durch ein   vertrauensvolles Zusammenwirken ein gesellschaftliches Klima erzeugen, das den Willen zur Integration auf allen Seiten befördert. Ein Klima, das hilft, Vorurteile und Stigmata zu überwinden, das Ängste und Berührungsängste abbaut, Sozial- und Alltagskontakte ermöglicht.

 

Bürgerschaftliches Engagement ist ein geeigneter und zentraler Weg, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, ohne dabei die eigene Identität zu verlieren. Die aktive Mitwirkung von Einwanderern in Vereinen, Organisationen etc. vermittelt Teilhabe- und    Mitgestaltungsmöglichkeiten und fördert die Übernahme zivilgesellschaftlicher Verantwortung. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass sie auch den Bedürfnissen der Einwanderinnen und Einwanderer gerecht werden. Hierzu werden wir den Dialog mit Ausländervereinen und -verbänden suchen und intensivieren.

 

Wir wollen die Medien als Integrationsvorreiter gewinnen. In zunehmendem Maß werden Einwanderinnen und Einwanderer als Zielgruppe für Programmgestaltung und -inhalte entdeckt. Wir wollen, dass nicht nur Programm für sie, sondern auch mit ihnen gemacht wird, um so auch  größere Möglichkeiten für eine kulturelle Bereicherung unserer Gesellschaft zu bieten.

 

Wir wissen, dass in den Kommunen die Auswirkungen erfolgreicher, aber auch misslungener Integration am unmittelbarsten zu spüren ist. Wir wollen, dass Integration als eine Querschnittsaufgabe in der Kommune verstanden wird, die Leitbilder und Handlungskonzepte hervorbringt. Wir werden uns für Stadt- und Ortsteile mit besonderem Integrationsbedarf engagiert einsetzen. Hierzu ist das Bund-Länder-Programm "Soziale Stadt" ein geeignetes Instrument. Aber auch die Förderung des sozialen Wohnungsbaus und der Stadtumbau können  hier zu Verbesserungen beitragen. Das in vielen Großstädten erfolgreich betriebene Quartiersmanagement hat Vorbildcharakter.



 
 
 
 
 
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