16.11.2006
Gemeinsame Erklärung von Kurt Beck und Michael Sommer zur EU-Ratspräsidentschaft
Zu den Präsidentschaften Deutschlands in der Europäischen Union und der G8 im kommenden Jahr erklären der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer und der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck:
Deutschland übernimmt zu Beginn des kommenden Jahres die Präsidentschaften in EU und G8: Es gilt, durch die Verknüpfung beider Präsidentschaften nachhaltige Impulse für einen erfolgreichen Fortgang des europäischen Einigungsprozesses und für die sozial gerechte Gestaltung der Globalisierung zu setzen. Der 50. Jahrestag der Unterzeichung der Römischen Verträge am 25. März 2007 bietet die Chance, die Ziele, die in, mit und durch Europa im 21. Jahrhundert erreicht werden sollen, deutlich aufzuzeigen. Das europäische Erfolgsprojekt muss als zentrales politisches Instrument zur Gestaltung der Globalisierung nach Innen und in der Welt fortentwickelt werden. Für SPD und DGB ist klar: Um das Ziel einer sozialen, demokratischen, wirtschaftlich dynamischen und innovativen EU erreichen zu können, ist es notwendig, der EU durch die Wiederbelebung des Verfassungsprozesses neue vertragliche Grundlagen zu geben.
DIE STÄRKUNG DER SOZIALEN DIMENSION EUROPAS
Ein besonderer Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft muss die Stärkung der sozialen Dimension des europäischen Einigungsprozesses im Sinne eines "sozialen Projekts Europa" sein. SPD und DGB werden über den Zeitraum der deutschen Präsidentschaft hinaus gemeinsam und in enger Abstimmung mit ihren europäischen Partnern nachdrücklich an der Umsetzung dieses Projektes arbeiten. Es kommt uns darauf an, die konstitutiven Pfeiler des europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells zu stärken und so zu modernisieren, dass sie helfen, die Chancen der Globalisierung im Interesse Europas besser nutzen und die Herausforderungen des globalen Wettbewerbs meistern zu können.
Die EU muss mit Nachdruck die Stärkung der sozialen Marktwirtschaft voran treiben. In einer zunehmend europäisierten Volkswirtschaft ist es unser gemeinsames Ziel, Arbeitnehmerrechte und Mitbestimmung auf europäischer Ebene zu stärken und auszubauen. Starke Arbeitnehmerrechte und Mitbestimmung sind elementare Bestandteile eines spezifisch europäischen Wirtschaftsmodells und tragen zu Wettbewerbsfähigkeit und unternehmerischem Erfolg bei. Deshalb werden wir uns dafür einsetzen, dass bei europäischen Gesetzgebungsakten wie der geplanten Richtlinie zur Sitzverlagerung von Unternehmen bestehende Mitbestimmungsregelungen, wie sie bei der EuropäischenAktiengesellschaft vereinbart worden sind, angewendet werden. Darüber hinaus ist eine Stärkung und Verbesserung der Arbeit der Europäischen Betriebsräte notwendig.
Zugleich muss künftig sicher gestellt sein, dass die europäische Gesetzgebung auf ihre sozialen Folgen für die Menschen überprüft wird. Deshalb treten wir dafür ein, dass soziale Folgenabschätzungen auf europäischer Ebene verbindlich gemacht werden. Dies ist ein wichtiger Aspekt, um die soziale Dimension des europäischen Einigungsprozesses zu stärken.
Ein weiterer Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft muss die Schaffung eines fairen Standortwettbewerbs in Europa sein. Einen Wettlauf um die niedrigsten Steuern darf es nicht weiter geben. Die EU-Mitgliedstaaten müssen finanziell handlungsfähig sein, um öffentliche Infrastruktur und Daseinsvorsorge auf hohem Niveau für alle Menschen bereitstellen und diese als Standortvorteil im globalen Wettbewerb nutzen zu können. Um dies gewährleisten zu können, ist ein erster Schritt die Intensivierung der Arbeiten zur Schaffung einer einheitlichen Bemessungsgrundlage bei der Unternehmensbesteuerung.
Zugleich müssen die europäischen Rahmenbedingungen für die Daseinsvorsorge dringend weiter entwickelt werden.
Zugleich muss Lohndumping in Europa aktiv entgegengewirkt werden, indem gleicher Lohn und gleiche Arbeitsbedingungen am gleichen Ort gesichert werden. Unser gemeinsames Ziel ist es, dass deutsche Entsendegesetz auf möglichst alle Branchen auszudehnen und, wie vom Europäischen Parlament gefordert, müssen darüber hinaus Initiativen zur Stärkung der EU-Entsenderichtlinie auf den Weg gebracht werden:
Deren Anwendung muss ohne Wenn und Aber sichergestellt werden. Kontrollmöglichkeiten der Mitgliedstaaten dürfen nicht weiter eingeschränkt werden.
Das "Europäische Jahr der Chancengleichheit" ist ein Auftrag, konkrete Fortschritte bei der Herstellung gleicher Chancen für alle Bevölkerungsgruppen zu erzielen. Einerseits müssen Maßnahmen zur Herstellung von Chancengleichheit für Frauen und Männer in der Erwerbs- und Familienarbeit vorangebracht werden. Andererseits muss die Chancengleichheit bei der Beschäftigung benachteiligter Personengruppen verbessert werden.
Im Rahmen der G8-Präsidentschaft streben wir Fortschritte zur sozial gerechten Gestaltung der Globalisierung an: Ein hervorgehobener Schwerpunkt muss hier ein verstärkter Dialog über die Agenda zu menschenwürdiger Arbeit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), insbesondere über die ILO-Kernarbeitsnormen, sein. Damit die Globalisierungsprozesse durch politisches Handeln effizienter als bislang gestaltet werden können, gilt es darüber hinaus, verbesserte Regelwerke für das Funktionieren der internationalen Finanzmärkte zur Erhöhung von Stabilität und Transparenz durchzusetzen.
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