Erklärung nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung „Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 21 zur 86. Sitzung des 16. Deutschen Bundestages am 09.03.2007; Bundestagsdrucksache 16/ 4298 und 16/ ….)
Seit über fünf Jahren ist die Bundesrepublik Deutschland aktiv am Aufbau von staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen sowie in verschiedenen Bereichen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Afghanistan engagiert. Seit Ende 2001 war Deutschland führend am Prozess zum Aufbau rechtsstaatlicher und demokratischer Ordnung beteiligt und hat dazu drei internationale Afghanistan-Konferenzen organisiert. Die Bundeswehr leistet seit Beginn des internationalen Engagements im Rahmen eines UN-Mandates (ISAF) einen mit unserer zivilen Unterstützung vernetzten, wichtigen Beitrag zur militärischen Absicherung des Stabilisierungs- und Wiederaufbauprozesses in Afghanistan.
Das bisherige, auf die beschriebene Weise vernetzte Engagement Deutschlands im Norden Afghanistans hat wesentlich zur Stabilisierung in Kabul und im Norden Afghanistans beigetragen und genießt hohe internationale Reputation. Dauerhafter Frieden und zuverlässige humanitäre Hilfe waren und sind für die deutsche Außenpolitik zwei Seiten derselben Medaille. Diese Verbindung unterstütze ich auch weiterhin.
Die deutsche Außenpolitik hat sich dabei auf sehr wohltuende Weise von der Politik anderer Nationen unterschieden. Anders als in der Außenpolitik anderer Länder wurde der Kampf gegen den Terrorismus nicht als Krieg betrachtet. Dass die „Kriegsstrategie“ bislang nicht aufgegangen ist, belegt nicht nur der Umstand, dass die Friedenssicherung im Osten und Süden Afghanistans nach dem Willen der dort verantwortlichen Nationen nun ebenfalls um eine zivile Begleitung mit höherem Gewicht ergänzt werden soll, die Deutschland im Norden Afghanistans bereits erfolgreich betreibt.
Dabei sollten wir nicht vergessen, dass selbst diese Korrektur der „Kriegsstrategie“ noch zu wenig sein könnte: Denn eigentlich war die internationale Schutztruppe ISAF vor fünf Jahren mit 20.000 Soldatinnen und Soldaten angetreten, um den zügigen Aufbau eines physisch und moralisch zerstörten Landes zu garantieren. Die Reste der Taliban und von Al-Quaida sollten von hochgerüsteten Truppen in wenigen Monaten besiegt sein. Die Realität, auf deren Grundlage der Antrag der Bundesregierung jetzt gestellt wird, sieht leider anders aus. Die Zahl der Anschläge auf militärische Ziele in Afghanistan ist von 2005 auf 2006 dramatisch gestiegen: von 1.632 auf 5.338. Insgesamt waren 4.000 Tote zu beklagen. Das sind zehnmal so viele wie drei Jahre zuvor.
Angesichts dieser Entwicklung stellen wir uns die Frage, ob man diese Entwicklung beenden kann, indem deutsche Tornados mit Aufklärungsflügen den Bodentruppen den Weg weisen. Angesichts dieser Entwicklung – insbesondere der Fehlentscheidungen in Ost- und Südafghanistan, dem Frieden dort vornehmlich mit militärischen Mitteln erreichen zu wollen – sind wir mehr denn je aufgerufen, alles zu tun, damit die Afghanen die Mitglieder fremder Nationen als ihre Unterstützer wahrnehmen und anerkennen. Jeder zusätzliche militärische Beitrag mit nahezu unvermeidlichen zusätzlichen Opfern auf Seiten der Zivilbevölkerung birgt den Verdacht in sich, die Afghanen nicht als gleichberechtigte Partner anzuerkennen, sondern die Besatzungssituation perpetuieren zu wollen.
Mit der nun von der Bundesregierung beantragten Beteiligung an dem Einsatz einer internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe verbinden wir daher die Befürchtung, dass die bisherige, fruchtbringende deutsche Außenpolitik anders als bisher wahrgenommen würde.
Gegenwärtig drohen die Kommandeure der Taliban damit, das Land zu irakisieren, mit funkgesteuerten Kleinstbomben zu agieren, die Selbstmordattentate zu erhöhen. Das Ganze könnte nicht trotz, sondern sogar wegen der Tornados geschehen. Dass dann der Ruf nach deutschen Bodentruppen im Osten und Süden Afghanistans noch stärker als bislang ertönen dürfte, ist für uns die militärisch logische und wahrscheinliche Konsequenz. Deutschland könnte mit zunehmendem Zeitablauf nicht mehr vermitteln können, warum es nicht mit gleichem Risiko wie die anderen Nationen beteiligt ist.
Dies gilt umso mehr, als die Tornado-Einsätze nun in die gerade anlaufende Frühjahrsoffensive der NATO und in die Operation Enduring Freedom (OEF) einbezogen werden sollen. Es besteht daher die Gefahr, dass deutsche Soldaten für Kriegsoperationen verantwortlich gemacht werden, auf deren Planung und Durchführung sie kaum Einfluss haben. Dies hätte letztlich Auswirkungen auf das gesamte deutsche ISAF-Kontingent. Deutsche Stellungen der ISAF-Truppe könnten zunehmend Ziel von Angriffen und Anschlägen werden und auch die erreichte Stabilisierung der Lage im Norden Afghanistans wäre gefährdet.
Der Einsatz deutscher Tornados wäre damit kein Beitrag zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan. Das Gegenteil wäre der Fall. Wir sehen daher in der Entsendung von „Recce-Tornados“ nach Afghanistan ein nicht vertretbares Risiko für unsere deutschen Soldatinnen und Soldaten und für das Gelingen des ISAF-Einsatzes insgesamt und werden daher dem erweiterten Mandat nicht zustimmen.
Ortwin Runde
Elke Ferner
Marco Bülow
Petra Merkel
Ewald Schurer
Renate Schmidt
Ernst-Dieter Rossmann
Lothar Mark
Marlene Rupprecht
Ulla Burchardt
Dirk Manzewski
Marko Mühlstein
Sönke Rix
Reinhold Hemker
Frank Hofmann
Renate Gradistanac
Wolfgang Spanier
Ute Kumpf
Christian Kleiminger
Margrit Spielmann
Rainer Tabillion
Angelika Krüger-Leissner
Mechthild Rawert
Hilde Mattheis
Martin Burkert
Gabriele Hiller-Ohm
Christel Humme
|