Anlässlich der Abstimmung des Koalitionsantrags „Zukunft der Bahn, Bahn der Zukunft-Die Bahnprivatisierung zügig und konsequent beschließen“ (DS 16/9070) am 30.05.2008 erklärt der Mannheimer Bundestagsabgeordnete Lothar Mark:
Einer Teilkapitalprivatisierung der Deutschen Bahn stand ich von Anfang an ablehnend gegenüber. Die mehr als 200 Zuschriften besorgter Bürgerinnen und Bürger, die mich in den vergangenen Wochen nach meinem und Peter Conradis Brief an den SPD-Parteirat erreicht haben, bestärkten mich in meiner Absicht, gegen obigen Antrag zu stimmen. Darunter finden sich auch zahlreiche SPD-Funktionsträger und frühere Mitglieder des Deutschen Bundestages. Eine Emnid-Umfrage bestätigte bereits im Februar 2008, dass 70 % der Bevölkerung dafür sind, die Bahn in öffentlicher Hand zu belassen. Der SPD-Bundesparteitag in Hamburg am 27.10.2007 schloss mit überwältigender Mehrheit aus, dass private Investoren bei der Bahn Stimmrechte erhalten sollten.
Die Zustimmung zu dem obigem Antrag besiegelte m.E. den Einstieg in den Ausverkauf der Deutschen Bahn und ich befürchte, dass dieser in Zukunft nicht zu stoppen sein wird. Die „Bürgerbahn“ wird damit den freien Kräften des Marktes überlassen und der öffentliche Sektor in Deutschland ein weiteres Stück zurückgeführt.
Für mich ist die Bahn ein unverzichtbares Stück Daseinsvorsorge und zudem ein wesentliches Instrument gegen den drohenden Klimawandel. Gegenteilige Äußerungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Befürworter des Holding-Modells trotz seiner vermeintlich unverhandelbaren "roten Linie" von maximal 24,9% eine künftige Privatisierung zu 49,9%, die Zerschlagung der Bahn und damit die Aushöhlung der Gemeinwohlverpflichtung gem. Art. 87 e IV GG billigend in Kauf nehmen. Diese besagt, dass dem Verkehrsbedürfnis der Allgemeinheit durch ein entsprechendes Infrastruktur- und Fahrleistungsangebot auf dem Schienennetz Rechnung zu tragen ist.
Während noch bis vor kurzem jeder davon ausging, dass die Bahnprivatisierung über ein Bundesgesetz geregelt werden würde, lag jetzt lediglich ein Antrag zur Abstimmung vor. Anstelle einer gesetzlichen Regelung wird ein Vertrag zwischen dem Bund und der Deutschen Bahn AG bzw. der neuen teilprivatisierten Transport-Holding geschlossen. Damit wird m.E. die parlamentarische Demokratie ausgehebelt. Zugleich gehen Bund und damit die Steuerzahler erhebliche finanzielle Risiken ein. So wird offen gelassen, wer die rund 15 Mrd. Euro Schulden, die auf der Bahninfrastruktur liegen, am Ende zahlen soll.
Es bleiben auch Zweifel, ob die Infrastruktur der Bahn – wie behauptet - tatsächlich in Eigentum des Bundes bleiben wird. Tatsache ist, dass der Bund trotz seines bisherigen 100-prozentigen Eigentums an der Bahn nicht verhindern konnte, dass das Schienennetz seit 1993 um 7000 km abgebaut wurde. Wie sollte der Bund im Falle einer teilprivatisierten Bahn den fortgesetzten Netzabbau verhindern können? Die neuen privaten Anteilseigner werden auf die Erhaltung rentabler Verbindungen drängen, nicht aber die Bedürfnisse aller Bürgerinnen und Bürger an erster Stelle sehen.
Das Interesse ausländischer Investoren an einem Einstieg in die Bahn lässt befürchten, dass die Privatisierung zu ähnlich negativen Folgen wie in Großbritannien, Litauen und Neuseeland führen könnte – ein Desaster für die Menschen, die auf einen funktionierenden Bahnverkehr auch in der Fläche angewiesen sind.
Und nicht zuletzt: Den Bahnbeschäftigten wurde versprochen, das Holding-Modell garantiere den integrierten Konzern. Tatsächlich ist aber mit der neuen Struktur die fatale Trennung von Infrastruktur und Transport vorprogrammiert. Schon jetzt wurde bekannt, dass es kurz nach der Teilprivatisierung zu umfassenden Ausgliederungen und zu einem damit verbundenen Lohndumping kommen wird. Der Wechsel von Transnet-Chef Norbert Hansen zum Personalvorstand der Deutschen Bahn hat bundesweit Empörung hervorgerufen. Er soll diese Politik auf dem Rücken der Beschäftigten ausführen und hat als Option bereits die 49,9 % Privatisierung formuliert. Diese Aussage ist alles andere als vertrauensfördernd.
Meiner Auffassung nach wäre es als SPD-Bundestagsfraktion unsere Aufgabe gewesen, einen bedeutsamen politischen Gestaltungsauftrag in einem Kernbereich öffentlicher Daseinsvorsorge zu erfüllen, die Option für eine zukunftsgerichtete, innovative Politik offenzuhalten und auf eine sozialdemokratische, nachhaltige, konzeptionell durchdachte und aufeinander abgestimmte Verkehrs-, Bahn-, Finanz-, Energie- und Umweltpolitik aus einem Guss hinzuwirken, welche das Verkehrssystem Schiene als ein Schlüsselinstrument für einen volkswirtschaftlich, sozial und ökologisch ausgerichteten Politikwechsel begreift. Die SPD hätte in Wahrnehmung ihrer Regierungsverantwortung und Kontrollmöglichkeiten die Weichen stellen müssen für die Neuausrichtung einer reformierten bundeseigenen Bahn, um mehr Personen- und Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern.
Ich konnte deshalb dem Antrag aus Wissens- und Gewissensgründen nicht zustimmen.
Hier finden Sie den Antrag und das Ergebnis der Abstimmungen im Deutschen Bundestag.
Hier die Persönliche Erklärung von Lothar Mark und weiteren SPD-Bundestagsabgeordneten.
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