Kommentar SPD kann sich kein „Weiter so“ leisten
In welchem Ausmaß die Mitglieder der SPD nach der Wahl alarmiert, enttäuscht und verärgert über ihre Parteispitze sind – das ließ sich am Freitag bei der Kreis-Konferenz im „Abseits“ ebenso beobachten wie bei einem auch von der „Demokratischen Linken“ initiierten Treffen am Samstag im Waldheim Heslach mit über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus dem ganzen Land.
Allein 24 Genossinnen und Genossen aus Tübingen waren aus Sorge um ihre Partei nach Stuttgart gefahren – unter ihnen die Kreisvorsitzende Dorothea Kliche-Behnke und die Landtagsabgeordnete Rita Haller-Haid. Herta Däubler-Gmelin wollte kommen, musste aber krankheitshalber absagen. So machte der scheidende Bundestagsabgeordnete Lothar Mark aus Mannheim als erster seiner Verbitterung über das Posten-Geschacher der „Netzwerker“ Luft: Sein Nachfolge-Kandidat Stefan Rebmann war nur auf Rang 17 der Landesliste platziert. Nun hat die zweitgrößte Stadt Baden-Württembergs, der einstige Wahlkreis Carlo Schmids, erstmals seit 1949 keinen Abgeordneten im Bundestag. Für die SPD ein Scherbenhaufen.
Auch sonst stellten die in Heslach Versammelten der Bundes- und Landesführung ein katastrophales Zeugnis aus. Die Basta-Politik Gerhard Schröders, die Erhöhung der Mehrwertsteuer 2005, die von einem Bundesparteitag abgelehnte und dann doch vorangetriebene Bahnprivatisierung, die sofortige Präsentation neuen Führungspersonals nach dem Absturz bei der Wahl: Das alles trug dazu bei, dass sich die Mitglieder mehr als Statisten in einem Kanzlerwahlverein fühlten denn als Teil einer demokratischen und selbstbewussten Partei.
Wenn es der SPD nicht gelingt, diesen Teil ihrer Basis wieder einzubinden, hat sie den Tiefpunkt ihrer Geschichte noch längst nicht erreicht. „Wir müssen dafür sorgen, dass nicht diejenigen die Oberhand behalten, denen die Größe der Insel SPD egal ist – Hauptsache, sie sind drauf“, warnte die Ulmer Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis.
In Tübingen trafen die Jusos mit ihrer Resolution die Stimmung. Sie mag noch nicht in allen Teilen ausgereift sein, taugte aber als Zeichen des Aufbruchs und signalisiert einen Schwenk. Über die Diskussionen, die um einzelne Formulierungen geführt wurden, konnte man sich aber nur wundern. So wird nun ein „Diskurs mit der Partei Die Linke“, aber keinesfalls „gemeinsam mit der Partei Die Linke“ geführt. Und statt nach dem Wahldebakel einzugestehen, dass die SPD das Vertrauen großer Teile ihrer Stammwählerschaft durch ihre Politik verspielt hat, sprach Ex-Bundestagskandidat Martin Rosemann weiter von Vermittlungs- und Wahrnehmungsproblemen. Die Wählerinnen und Wähler sind also selber schuld, wenn sie die Vorzüge der Agenda 2010 oder der Rente mit 67 nicht erkennen. Der Tübinger Ortsvorsitzende Thomas Volkmann widersprach: „Man muss aufpassen, dass nicht die Partei am Ende ein neues Volk wählen soll.“
Renate Angstmann-Koch
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