STUTTGART. Die SPD-Basis will endlich gehört werden in Stuttgart. "Macht die Flügel auf!", ruft Hilde Mattheis, die linke Flügel-Frau der Landes-SPD in den viel zu kleinen Saal. Auch die Genossen, die nur noch draußen einen Platz ergattern konnten, sollen dank geöffneter Türen und Fenster an der "flügelübergreifenden Wahlnachlese", zu der Mattheis und andere Linke in der SPD geladen haben, teilnehmen können.
An die 200 Mitglieder der vom Wähler fast zerlegten, entzweiten Partei sind am Tag der Einheit in Stuttgart an historischem Ort zusammengekommen. Den Weg ins Waldheim Heslach fanden schon die Kanzler Brandt, Schmidt und Schröder. 2008, zum 100-jährigen Jubiläum des von der Arbeiterbewegung gegründeten Erholungsorts, gratulierte ganz selbstverständlich der damalige SPD-Chef Kurt Beck. An den "abgeschossenen" Vorsitzenden erinnert zornig ein Betriebsrat aus Böblingen: "Mit Beck wäre unser Ergebnis auch nicht schlechter ausgefallen." Lothar Mark wundert sich angesichts der bisherigen Parteispitze nicht, dass viele Ortsvereine nicht kampagnefähig gewesen seien. Dreimal hatte er das Mannheimer Direktmandat bravourös gewonnen, ehe er vor dieser Wahl auf eine Kandidatur verzichtete. Dass die SPD jetzt zum ersten Mal seit 1949 keinen Abgeordneten aus Baden-Württembergs zweitgrößter Stadt in den Bundestag schickt, müsse eine Lehre sein.
Die falschen Inhalte, die falschen Personen: viel Verbitterung schwingt in den Wortmeldungen der stundenlangen Debatte mit. "Die, die unsere Partei geführt haben, haben sie an die Wand gefahren." Gemeint sind die "arroganten Schnösel" im Willy-Brandt-Haus, die "Karrieristen", die "Autisten", die Widerspruch nicht duldeten. In Berlin wie in Stuttgart, wo die "Wischi-waschi-Netzwerker" schon wieder die Parole ausgäben, man müsse sich auf das Landtagswahlergebnis konzentrieren.
Sie wollen "gnadenlos aufarbeiten", so Verdi-Landeschefin Leni Breitmeier. Denn "wenn wir uns jetzt nicht die Zeit nehmen, dann ist unsere Zeit zu Ende", wie ein Genosse sagt. Viel Wut ist zu spüren, weil entgegen allen Absprachen wieder hinter den Kulissen die neuen Personaltableaus ausgekungelt werden, Sigmar Gabriel, Andrea Nahles und vier Vizes schon als gesetzt gelten dürfen. Wortgewaltig geißelt Hermann Scheer, Bundestagsabgeordneter aus Waiblingen, das "Hauruckverfahren, das einer Ämterpiraterie gleichkommt. Gegen diese Methode der Auswahl eines umstrittenen Parteivorsitzenden ist die Papstwahl ein radikaldemokratischer Vorgang."
Die Mannheimer Politik-Professorin Andrea Römmele hatte zu Beginn des Treffens den Sozialdemokraten klar gemacht, dass die auch im Wahlkampf praktizierte "Top-down-Kommunikation" zur Demobilisierung führte: Am meisten habe die Partei an die Nicht-Wähler verloren: "Die SPD muss den Dialog ganz nach vorn stellen."
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