Sehr geehrter Herr Botschafter, ich darf auch sagen lieber Freund, lieber, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, meine sehr verehrten Damen, meine Herren,
ich freue mich sehr, heute Abend hier im Hause der Brandenburgisch Preußischen Geschichte zu Gast zu sein und zur Eröffnung der Festwoche in Gedenken Moritz von Nassaus einige Worte sprechen zu dürfen.
Als Berichterstatter im Auswärtigen Ausschuss für Lateinamerika, als Lateinamerikabeauftragter der SPD-Bundestagsfraktion, Vize-Präsident der deutsch-brasilianischen Parlamentariergruppe und als Kuratoriumsmitglied der Deutsch-Brasilianischen Gesellschaft liegen mir die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern besonders am Herzen. Aus diesem Grund bin ich auch heute extra aus Mannheim angereist.
Ganz in der Tradition Moritz von Nassaus – Vordenker, Humanist, Weltbürger und Förderer von Wissenschaft und Kunst, über den wir ja nun schon einiges erfahren haben – ist es unter der Schirmherrschaft des brasilianischen Botschafters und des Oberbürgermeisters der Stadt Potsdam gelungen, ein beeindruckendes Programm zusammen zu stellen. Die zahlreichen Veranstaltungen der kommenden Woche zeugen in hervorragender Weise von den reichen kulturellen Verknüpfungen zwischen Deutschland und Brasilien.
Recife und Potsdam, was haben denn diese beiden Städte überhaupt gemeinsam? Recife, die feuchtheiße Millionenmetropole im Nordosten Brasiliens, und Potsdam, die beschauliche Landeshauptstadt Brandenburgs: Moritz von Nassau hat in beiden Städten einen wichtigen Abschnitt seines Lebens verbracht, Spuren hinterlassen und prägende Entwicklungsimpulse gegeben.
Obwohl der „Brasilianer aus Siegen“ in diesem Jahr seinen 400. Geburtstag gefeiert hätte, möchte ich bestätigen, dass wir auch heute noch sehr viel von Johann Moritz von Nassau-Siegen lernen können: In seiner Zeit in Recife förderte er Künste und Wissenschaften, brachte Maler, Botaniker und Mediziner mit dorthin. Seine Politik war für die damalige Zeit extrem liberal; er gewährte sogar Glaubensfreiheit – sowohl den Katholiken als auch den Juden. In Potsdam hat er nachhaltig Spuren in der Landschafts- und Stadtplanung hinterlassen und trug wesentlich zur Kenntnis Brasiliens in Europa bei.
Die Offenheit, auf andere zuzugehen, eine fremde Kultur mit ihren Eigenarten kennen zu lernen, Duldsamkeit oder Toleranz zu üben, neuen Sichtweisen Raum zu geben – eine solche Herangehensweise ist unverzichtbar im Zeitalter der Globalisierung, in dem das Wohlergehen aller Nationen von gegenseitiger Achtung und Verständigung abhängt.
Obwohl sich die Millionenstadt Recife natürlich schon von der schieren Größe her nicht mit Potsdam vergleichen lässt, stehen beide Städte vor Herausforderungen und kommunalen Problemstellungen, bei denen auch Fragen der sozialen Integration und des interkulturellen Miteinanders zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Die Länder Deutschland und Brasilien haben gemeinsam, dass beiden Staaten in ihrem jeweiligen Kontinent eine zentrale Stellung zukommt: Deutschland teilt seine Grenzen mit neun Nachbarländern und stellt als Land im Herzen Europas eine der treibenden Kräfte in der wachsenden Europäischen Union dar.
Brasilien ist nicht nur wirtschaftlicher Motor Lateinamerikas, sondern hat auch eine Vorreiterrolle bezüglich des Aufbaus einer politischen Union für die gesamte Region inne. Mit zehn Nachbarländern, übrigens auch einer gemeinsamen Außengrenze mit der EU in Franz.-Guayana, wirkt es immer stärker als Integrationspol auf dem südamerikanischen Subkontinent und auch darüber hinaus.
Der „friedliche Riese“ -auf Grund seiner kontinentalen Ausmaße traditionell stark auf sich selbst bezogen- verfolgt seit seiner Rückkehr zur Demokratie in den 80er Jahren eine zunehmend selbstbewusste Außenpolitik. Deren Ergebnis ist das wachsende internationale Engagement Brasiliens, wie es sich beispielsweise an der Führung der UNO-Mission in Haiti manifestiert.
Die Stimme Brasiliens wird zunehmend auch außerhalb des amerikanischen Kontinents gehört. Das Land verfolgt mit dem Ausbau überregionaler bilateraler und multilateraler Beziehungen, z.B. zur EU, zu Süd- und Ostasien oder zur lusitanischen Gemeinschaft eine Diversifizierung seiner Außenpolitik und Außenwirtschaft. Brasilien hat insbesondere auch die Chancen einer verstärkten Süd-Süd-Kooperation erkannt und arbeitet konsequent an deren Realisierung, insbesondere mit Südafrika, Indien, China, aber auch mit Russland, Ägypten und anderen neuen Konstellationen.
Deutschland ist in diesem Diversifizierungsprozess nicht der einzige, wohl aber der wichtigste Partner beim Ausbau der „europäischen Option“. Mit ihm verbindet Brasilien eine Vielzahl gleichgerichteter Interessen. Beide Länder sehen sich als Teil der westlichen Wertegemeinschaft. So spricht z.B. auch die Bundesregierung in ihren Leitlinien für die deutsche Außenpolitik gegenüber Lateinamerika und der Karibik von „einer breiten Übereinstimmung in politischen Grundauffassungen“. Beide Länder wollen im Prozess der Globalisierung nicht nur Zuschauer sein, sondern gestalten.
Die Voraussetzungen dafür sind denkbar gut: In wichtigen Fragen der internationalen Agenda liegen ihre Standpunkte eng beieinander. Beispiele hierfür sind die Präferenz für eine multipolare Weltordnung nach dem Ende des Kalten Kriegs und der damit verbundene Einsatz für die Aufwertung supranationaler Organisationen.
Wir haben in dieser Woche verfolgen können, wie Deutschland und Brasilien vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen ihren Wunsch nach einem ständigen Sitz im VN-Sicherheitsrat zum Ausdruck gebracht haben. Dieser entspringt in hohem Maße auch der Einsicht in die Notwendigkeit einer allgemeinen Reform der UNO. Sie muss sich auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts wie globale Ungleichheiten und Terrorismus einstellen, aber nicht nur darauf.
Angesichts der zunehmenden Anzahl und Brisanz globaler Probleme wird auch die Kooperation zwischen handlungsfähigen regionalen Gemeinschaften (wie z.B. zwischen der EU und dem MERCOSUL) künftig immer mehr an Bedeutung gewinnen. Solche handlungsfähigen Bündnisse gründen sich jedoch auf ein Geflecht enger bilateraler Beziehungen zwischen Einzelstaaten. Um gemeinsame Problemlösungen zu betreiben, ist es wichtig, gemeinsame Interessen zu definieren.
Ein Blick auf die eigene Geschichte und politische und kulturelle Gemeinsamkeiten ist für beide Länder und auch die Regionen Brandenburg und Pernambuco nicht nur hilfreich zur Standortbestimmung, sondern trägt dazu bei, bereits begonnene Entwicklungsprozesse voran zu treiben.
Im Jahr 2002 haben Bundeskanzler Gerhard Schröder und der damalige brasilianische Präsident Fernando Henrique Cardoso eine strategische Partnerschaft zwischen Deutschland und Brasilien vereinbart. Teil dieser Partnerschaft ist auch die Stärkung und Bündelung der traditionell vielfältigen Austauschbeziehungen zwischen beiden Ländern in einem institutionalisierten „Dialog der Gesellschaften“.
Der amtierende brasilianische Präsident Lula da Silva hat diesen Prozess ausdrücklich bekräftigt. Ziel des umfassenden Dialogs zwischen Deutschland und Brasilien ist es insbesondere auch, junge Nachwuchskräfte beider Nationen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Medien und Verwaltung miteinander ins Gespräch zu bringen. Aufgegriffen werden hierbei auch aktuelle Fragen zu marktwirtschaftlichen Reformen oder dringlichen globalen Problemen, wie zum Beispiel aus dem Bereich der Umwelt.
Vor allem aber gewinnt die Hochschulzusammenarbeit mit Brasilien wachsende Bedeutung. Brasilien ist heute schon wichtigster Partner des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Lateinamerika. Bereits über 28.000 Studierende und Wissenschaftler konnten von den zahlreichen Stipendienprogrammen profitieren, und es bestehen über 50 Partnerschafts- und Forschungsprogramm-Vereinbarungen zwischen deutschen und brasilianischen Universitäten.
Aber auch der künstlerische Austausch hat sich in den letzten Jahren zwischen Brasilien und Deutschland enorm intensiviert. Die Kunstbiennale 2002 in São Paulo beispielsweise stand unter dem Motto „Iconografias Metropolitanas“, Bilder der Metropolen, und räumte dem Großraum Berlin einen besonderen Platz ein.
Diese unvollständige Aufzählung mag einen Eindruck von dem engen, lebhaften und bunten Dialog zwischen unseren Kulturen geben. Wenn Moritz von Nassau, der ja ein absoluter Pionier seiner Zeit war, all diese Formen des intensiven Kultur- und Gedankenaustauschs noch miterleben könnte – er wäre sicherlich überwältigt und begeistert.
Mit der Organisation und dem Besuch dieser Festwoche sind Sie alle in die Fußstapfen des Weltbürgers Moritz von Nassau getreten.
Ich hoffe, dass diese Woche für die Städte Potsdam und Recife den Anfang einer tiefen und intensiven Freundschaft und Zusammenarbeit darstellt. Und ich würde mir wünschen, dass das vielfältige Programm Sie alle neugierig darauf macht, künftig noch mehr über die andere Stadt, das andere Land und seine Menschen zu erfahren.
Ich wünsche Ihnen im Sinne Moritz von Nassaus anregende und inspirierende Erlebnisse und Begegnungen hier in Potsdam und eine unvergessliche Woche!
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