Mehrfach war die Spiegelsiedlung als das älteste erhaltene Arbeitersiedlungsgebäude (1853) in Deutschland ins Gerede gekommen, weil sie immer weiter verfiel. Über Jahrzehnte wurde versucht, sinnvolle, kostenmäßig vertretbare Lösungen zu finden, die in den letzten Jahren z.B. durch den damaligen Kultur-, Schul- und Sportbürgermeister Lothar Mark initiiert waren.
In den neunziger Jahren gab es Überlegungen, hier einfach wieder Studentenwohnungen, Eigentumswohnungen oder Reihenhäuser (saniert) zu etablieren, Kombinationen zwischen Seppl-Herberger-Museum, Glasmuseum, Puppenmuseum, Glasbläserei, Künstlerateliers, Caféteria und anderes mehr. Wohnideen sind ursprünglich daran gescheitert, dass St. Gobain Glass die Befürchtung hatte, neue Eigentümer könnten sich unter Umständen gegen das Werk wenden. Die sonstigen Möglichkeiten scheiterten an der Finanzierung und am Unterhalt. Und da selbst an einem Seppl-Herberger-Museum weder der Fußballkreis noch der DFB Interesse zeigten oder Unterstützung in Aussicht stellten, war auch diese Idee nicht umsetzbar.
Der Abriss erschien somit unvermeidlich, bis sich schließlich neue Chancen boten. Lothar Mark kam in seiner Funktion als Mannheimer Bundestagsabgeordneter mit verschiedenen Interessenten ins Gespräch. Ganz entscheidend und zielführend war schließlich der Kontakt mit Direktor Werner Schmitt von St. Gobain Glass in Mannheim, der Lothar Mark bei seinen Überlegungen und seiner Initiative vorbildlich und konstruktiv unterstützte. Desgleichen gab es auf einmal auch Unterstützung vom Landesdenkmalamt in Karlsruhe, das vorher alle ökonomisch vertretbaren Lösungen blockiert hatte. Der neue Mann in Karlsruhe zeigte sich ebenfalls konstruktiv und kompromissbereit, während seine Vorgängerin destruktiv und „weltfremd“ in Punkto Zumutbarkeit von Wohnraum gewesen war, entrüstet sich Mark auch heute noch. Die Stadt Mannheim erwies sich mit Bürgermeister Lothar Quast als konstruktiver Partner, während die Untere Denkmalbehörde durch „Besserwisserei“ ursprünglich zur Ablehnung der Pläne und somit zu massiven Planungsverzögerungen beigetragen hatte.
Bauherr der Maßnahme wird die Firma Terborg aus Mannheim sein, der Architekt ist Wilhelm Berggötz. Inzwischen steht der Bauzaun und in ca. 3 Wochen wird mit der Sanierung begonnen. Geplant sind zehn Wohnungen zwischen 90 und 150 Quadratmetern. Käufer sind bereits da, in wenigen Tagen werden die Kaufverträge unterzeichnet. Die Außenfassade wird im alten Stil aufgemöbelt und im Wesentlichen nicht verändert. Von den Außentoiletten bleiben zwei symbolisch stehen, um auf die damalige hygienische Situation hinzuweisen. Die Klappläden und auch die Balkone bleiben erhalten bzw. werden durch neue ersetzt. Von außen wird die Spiegelsiedlung wieder ein Schmuckstück der Stadt werden. Die Veränderungen im Innern erfolgen behutsam, aber doch so, dass Käufer oder Mieter hier gerne einziehen. Der historische Zustand von 1853 muss auf die Bedürfnisse der heutigen Zeit transferiert werden. Das heißt, dass insbesondere im Sanitärbereich größere Veränderungen vorgenommen werden müssen. Auch die Wohnräume müssen größer und die Gärten und Terrassen mit einbezogen werden. In einem Exposé weist die Refi GmbH aus Eggenstein-Leopoldshafen, die Vermittler des Objektes ist, auf die besondere Geschichte der Siedlung hin. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts befindet sich die französische Glashütte der Compagnie St. Gobain auf dem Waldhof. Hier wurde eine Fabrik mit angeschlossener Wohnsiedlung für die - damals meist - französischen Arbeiter und ihre Familien gebaut.
Für damalige Verhältnisse waren das vorbildliche Zustände. Die Spiegelsiedlung war in ihrer Art einzigartig in Deutschland. Zwischen 1853 und 1882 wurden 19 Blöcke mit 346 Wohnungen für die Arbeiter gebaut. In jedem Haus wohnten zwei Familien. Jede Wohnung hatte etwa 40 Quadratmeter und bestand aus einer Stube, einer
Küche und einem Alkoven. Den Abort außerhalb mussten sich manchmal bis zu vier Familien teilen. In jeder Fabrik gab es ein Bad, das alle benutzen durften. Zu jeder Wohnung gehörten auch ein Nutzgarten und ein Kleintierstall hinter dem Haus, die der Selbstversorgung der Bewohner dienten. In diese Siedlung zogen 1887 Lina und Josef Herberger. In der Rue de France, Nummer 171, wurde am 28. März 1897 Seppl Herberger, der spätere Bundestrainer und Fußballweltmeister von 1953, geboren. An ihn erinnert eine Plakette an der Hauswand. Die Häuserzeile bleibt erhalten.
Es handelt sich um die letzte noch vorhandene Arbeitersiedlung in Deutschland aus dieser Zeit. Für Lothar Mark geht jetzt ein langer Kampf um die Spiegel zu Ende: „Ich habe nie aufgeben wollen, aber es war bisweilen hart und die Unterstützung nicht unbedingt groß, insbesondere nicht von denen, die ihr Mundwerk in dieser Angelegenheit immer wieder besonders weit öffneten“, schmunzelt Lothar Mark. „Die Bauarbeiten werden gegen Ende des Jahres 2005 abgeschlossen sein. Mit seinem Engagement hat der SPD-Bundestagsabgeordnete für das Stadtjubiläum 2007 einen besonderen Akzent gesetzt.
Berlin, 27.01.2005
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