Allen Vorurteilen zum Trotz bleibt Deutschlands Volksvertretern zum Leben gar nicht so viel, wie man denkt - sofern sie keine größeren Nebeneinkünfte haben
Von unserem Redaktionsmitglied Steffen Mack
Lothar Mark ist wütend. Sehr wütend. "Was wir uns zurzeit alles anhören müssen, kann man sich nicht vorstellen." Seit die satten Nebeneinkünfte einiger Parlamentarier ruchbar wurden, erreichen Mark ungezählte Anrufe, Briefe und Mails empörter Bürger. "Einige davon könnte ich direkt an die Staatsanwaltschaft weiterleiten", sagt Mark. Ihm stinkt gewaltig, dass "einige wenige uns alle in Verruf bringen". Bundestagsabgeordnete verdienten in Wirklichkeit keinesfalls zu viel. Um das zu veranschaulichen, hat der Mannheimer Sozialdemokrat seine Einkünfte und Ausgaben zusammengestellt.
Mark bekommt pro Jahr 83 877 Euro Diäten. Die muss er ebenso versteuern wie seine wenigen Nebeneinkünfte (rund 1000 Euro jährlich für Vorträge und ähnliches). Dazu erhalten Abgeordnete eine steuerfreie Aufwandspauschale von 42 412 Euro. Das klingt dramatisch viel, und dagegen sind auch Klagen verärgerter Steuerzahler vor Gericht anhängig.
Allerdings muss man berücksichtigen, wofür Parlamentarier dieses Geld benötigen. Ihre Mitarbeiter und das Berliner Büro finanziert der Bundestag. Ihr Wahlkreisbüro müssen sie jedoch ebenso selbst bezahlen wie alle Kosten "drumherum": Bewirtung von Gästen, Zeitungen für den Dienstgebrauch sowie Fachliteratur und -zeitschriften. Letztere brauche er besonders, sagt Mark, um über sein Spezialgebiet Lateinamerika auf dem Laufenden zu bleiben. Hierfür habe er auch einen Spanischkurs belegt und müsse Reisegeschenke kaufen. Im Wahlkreis erwarteten von ihm über 40 Vereine, in denen er Mitglied sei, neben Beiträgen auch mal Tombolagewinne oder Geschenke zu spendieren. Hinzu kämen dienstliche Gespräche vom Privattelefon (häufig nach Südamerika) und Zeitungsinserate (etwa zur Mitarbeitersuche).
Mehr als 10 000 Euro zahlt Mark pro Jahr an Partei- und Fraktionsgremien. Dies mag verwerflich wirken, schließlich ist die Pauschale nur für die Abgeordneten-Tätigkeit gedacht. Das Bundesverfassungsgericht sieht es jedoch ausdrücklich als sinnvoll an, dass sich Parlamentarier zusammenschließen. Denn sie profitieren ja auch in mancherlei Hinsicht von der Zuarbeit aus Fraktion und Partei (die ihrerseits viele Mitarbeiter beschäftigen).
Bundestagsabgeordnete dürfen im Inland kostenlos fliegen, Bahn fahren sowie in Berlin Parlaments-Chauffeure bemühen. Fahrten im Wahlkreis müssen sie selbst bezahlen. Mark veranschlagt dafür inklusive Autoverschleiß 2500 Euro pro Jahr. Am teuersten käme ihn seine Wohnung in der Hauptstadt. Zusammen mit der dort erhobenen Zweitwohnsteuer seien das jährlich 10 030 Euro. "Außerdem muss ich mir für Berlin zusätzliche Anzüge kaufen", sagt der 59-Jährige. "Und das Essen dort ist auch viel teurer, als wenn zu Hause meine Frau für mich kocht." Diese Unkosten hat er aber außen vor gelassen, damit seine Ausgabenliste nicht übertrieben erscheint. Das könnte schon so passieren: Die von ihm angegeben Kosten übersteigen seine Pauschale um mehr als 9500 Euro.
Vor seiner Wahl in den Bundestag 1998 habe er als Bürgermeister für Kultur und Sport in Mannheim mehr verdient, sagt Mark. Er könnte sich mit einer Diätenerhöhung anfreunden - und würde im Gegenzug Nebentätigkeiten verbieten lassen. "Wer seinen Job als Abgeordneter ernst nimmt, hat dafür sowieso keine Zeit", meint Mark und verweist auf seinen stets vollen Terminkalender (siehe unten). "Ich arbeite selten weniger als 70 Stunden pro Woche."
Bei einer Befragung der Universität Jena schwankt die "gefühlte" Arbeitsbelastung der Bundestagsabgeordneten zwischen 59 und 67 Stunden pro Woche. Rund 23 Prozent üben eine Nebentätigkeit aus. Allerdings ist deren Definition unklar. Künftig soll dem Bundestagspräsidenten alles gemeldet werden, was über die Arbeit als Abgeordneter hinausgeht – auch Ehrenamtliches. "Muss ich jetzt etwa angeben, dass ich Vorsitzender des Vereins zur Förderung des Mannheimer Herschelbades bin?", schimpft Mark. Doch sieht es so aus, als sei eine verschärfte Meldepflicht das einzige, auf das sich die Parlamentarier einigen können. Die Höhe sämtlicher Nebeneinkünfte offen zu legen, geht vielen zu weit.
Das dürfte den Unmut über "die Raffkes in Berlin" nicht lindern. Im Wahlkampf in Schleswig-Holstein wird der Bundestagsabgeordnete und CDU-Spitzenkandidat Peter Harry Carstensen ständig nach Nebeneinkünften gefragt. Geduldig zählt er seine Einnahmen aus verpachtetem Landwirtschaftsbetrieb, vermietetem Büroraum sowie früherer Beteiligung an einer Windmühlenfirma auf. "Aber wie viel ich da kriege, geht die Öffentlichkeit nichts an", sagt Carstensen. Über mangelndes Engagement könne sich sein Wahlkreis jedenfalls nicht beschweren. "Der ist mit seinen 2000 Hektar bei Ebbe größer als das Saarland", witzelt Carstensen. Da hat er für Klagen von Kollegen aus Ballungszentren nur ein schallendes Lachen übrig.
© Mannheimer Morgen - 04.02.2005
Morgens Brotdosen für die Schulanfänger, abends Gesangverein Ein Bundestagsabgeordneter hat auch in sitzungsfreien Wochen einen vollen Terminkalender - vor allem, wenn er sich noch nächtliche Büroarbeit verordnet
Was treiben Deutschlands Volksvertreter den lieben langen Tag? Hier Auszüge aus dem Terminkalender des Bundestagsabgeordneten Lothar Mark:
Erst im Wahlkreis Mannheim, dann eine Woche mit Plenarsitzungen von Mittwoch bis Freitag in Berlin (Januar). Laut Mark sehen so ähnlich alle Wochen aus, in denen der Lateinamerika-Experte der SPD nicht auf Reisen ist.
Woche im Wahlkreis
MONTAG: 9 Uhr Pressegespräch zur Zukunft des amerikanischen Coleman-Flughafens, 10.30 Uhr Treffen mit Gewerkschaftern zur Situation der örtlichen Kaufhäuser, 13.30 Uhr Gespräch mit dem Standortleiter des
Maschinenherstellers Deutz, 15:30 Uhr Gesprächstermin mit dem Förderverein zur Umgestaltung des Mannheimer Schillerplatzes, 17 Uhr Mitgliederversammlung des Richard-Wagner-Verbandes, 19:30 Uhr Vortrag vor dem Weinheimer Lions-Club zur Auswärtigen Kulturpolitik, danach bis 23 Uhr Büroarbeit
DIENSTAG: 8:30 Uhr Brotdosen an Schulanfänger verteilen, 9:30 Besichtigung eines Sanierungsprojekts, ab 12 Uhr Büroarbeit, 15 Uhr Gespräch mit einem Arbeitslosen auf Jobsuche, 19 Uhr Vereinsveranstaltung, danach bis 23 Uhr Büroarbeit
MITTWOCH: 9 Uhr Gespräch mit dem Vorstand des Grosskraftwerks Mannheim, 12 Uhr Zahnbürsten und -pasta für Lateinamerika abholen, 13:30 Uhr Treffen zur Zukunft des Herschel-Hallenbads, 17 Uhr Übergabe eines Gemäldes, 18 Uhr Bürgergespräch, 19:30 Uhr Ehrung eines Jubilars im Ortsverein, bis 21:30 Uhr Büroarbeit
DONNERSTAG: Ab 9 Uhr Büroarbeit, 11 Uhr Gespräch mit dem Betriebsratsvorsitzenden von Deutz, 14 Uhr Weihnachtsfeier eines AWO-Stadtteilvereins, 16 Uhr Gespräch mit einer Bürgerin, die eine Stelle für ihren arbeitslosen Sohn sucht, 19 Uhr "Bericht aus Berlin" vor SPD-Ortsvereinen, danach bis 23:30 Büroarbeit
FREITAG: 9 Uhr Treffen mit dem Betriebsrat der Firma Südzucker, 13 bis 14 Uhr Büroarbeit, 16:30 Uhr Treffen mit Landtagsabgeordneten, 18 Uhr Büroarbeit, 20 Uhr Besuch im Nationaltheater
SAMSTAG: 10:30 Uhr Geburtstagsempfang eines ehemaligen Stadtrats, 13 Uhr Bürgergespräch, 14 Uhr Weihnachtsfeier AWO-Stadtteilverein, 16 Uhr Gespräch mit Vereinsvertretern, 17:30 Uhr Bürgergespräch, 19 Uhr Weihnachtsfeier Gesangverein, danach bis 22:30 Uhr Büroarbeit
SONNTAG: 14 Uhr Weihnachtsfeier AWO-Ortsverein, 15 Uhr Weihnachtsfeier Gesangverein, 17 Uhr Weihnachtskonzert Liederhalle Mannheim, 20 Uhr Konzert Mundartsängerin, bis 23 Uhr Büroarbeit
Sitzungswoche in Berlin
MONTAG: 8:30 Uhr Besuch beim schleswig-holsteinischen Finanzminister, 9:45 Uhr Besuch in der Kieler Arbeitsagentur (Umsetzung von Hartz IV), Besichtigung der HDW-Werft in Kiel, danach Fahrt nach Berlin, 18 Uhr Treffen mit dem Ecuador-Repräsentanten der Friedrich-Ebert-Stiftung, 20 Uhr Mitarbeiter-Neujahrsessen der baden-württembergischen Landesgruppe, anschließend bis 23:30 Uhr Büroarbeit
DIENSTAG: 9 Uhr Arbeitsgemeinschaft Außenpolitik der SPD, 10:30 Uhr Arbeitsgemeinschaft Haushalt, 13:30 Uhr Treffen mit Organisatoren eines Guatemala-Projekts, 15 Uhr Sitzung der SPD-Fraktion, 17 Uhr Treffen mit
dem honduranischen Botschafter, 19 Uhr Abendessen der deutsch-mexikanischen Parlamentarischen Gesellschaft, danach bis 23 Uhr Büroarbeit
MITTWOCH: 8:30 Uhr telefonische Vorbesprechung zu einer Lateinamerika-Vortragsreihe der Mannheimer Abendakademie, 9:30 bis 13 Uhr Auswärtiger Ausschuss, 14 bis 18:30 Uhr Haushaltsausschuss, 19:30
Uhr Treffen der AWO-Parlamentarier, anschließend bis 23.30 Büroarbeit
DONNERSTAG: 7:45 Uhr Englischkurs in Bundestag, ab 8:30 Uhr Plenarsitzung, dazwischen 9 Uhr Mitarbeiter-Vorstellungsgespräch, 10:30 Telefon-Interview mit kolumbianischer Journalistin, 12 Uhr Treffen mit
Referenten aus dem Auswärtigen Amt, 16:15 Treffen mit Entwicklungshelfern, 17 Uhr Vorstellungsgespräch, nach Plenardebatte (Ende 20:30 Uhr) Büroarbeit bis 21:30 Uhr
FREITAG: Ab 9 Uhr Plenardebatte, dazwischen 10 Uhr Treffen mit dem früheren MVV-Chef Roland Hartung und baden-württembergischen SPD-Parlamentariern, 11 Uhr kurze Rede auf einer Lateinamerika-Veranstaltung des Entwicklungs-Ministeriums, 13 Uhr Mittagessen mit einigen Teilnehmern, 14 Uhr Gespräch mit
Regierungsvertretern aus Honduras, 15:30 Uhr Treffen mit kolumbianischer Menschenrechts-Kommission, 20 Uhr Heimflug nach Mannheim
SAMSTAG: 9 bis 15 Uhr Vortragsreihe der Abendakademie zu Lateinamerika, 16 Uhr Grußwort auf dem Gauturntag, 17 Uhr Treffen mit Vereinsvertretern, 18 Uhr Bürgergespräch, 20 Uhr rheinland-pfälzisches
Kammerorchester, danach bis 23:30 Uhr Büroarbeit
SONNTAG: 9:30 bis 12:30 Uhr Klausurtagung SPD-Ortsverein, 13 Uhr Treffen mit Lokaljournalistin, 18 Uhr Zeitungstermin
© Mannheimer Morgen - 04.02.2005
Den Originalartikel finden Sie unten als PDF-Dokument. Bitte beachten: Das Datum ist falsch, der Artikel erschien im Mannheimer Morgen am 04.02.2005.
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